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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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tötete. Als ob er meine Gedanken erahnt hätte, sagte er leise und zaghaft: «Es war das erste Mal, dass ich mit einem Tier, das ich getötet habe, so etwas wie Mitleid empfand. Und trotz dieses Mitleids möchte ich das Erlebnis, es getötet zu haben, nicht missen.»
    Er sah nachdenklich in seinen Becher, während sein rechter Zeigefinger unaufhörlich über dessen Rand kreiste. Langsam, ganz langsam nur, erhob er den Kopf und sah mich durchdringend an. Seine Mundwinkel zuckten, und es dauerte lange, bis sich seine vollen Lippen öffneten und aussprachen, was ihn so bedrückte: «Was empfindet man, wenn man einen Menschen getötet hat?»
    Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass mich irgendjemand darauf ansprechen würde. Gewiss, ich hatte Nassib schon mehrfach von Nimurias Feldzug ins elende Kusch erzählt und ihm auch nicht verschwiegen, dass eine stattliche Anzahl von Feinden von meiner Hand den Tod gefunden hatte. Aber nach meinen Gefühlen von damals wurde ich nie gefragt.
    «Nachdem ich den ersten Nubier getötet hatte   …»
    «Du meinst den auf eurem Schleichpfad, der sich mit vier anderen am Hang versteckt hielt», unterbrach mich Tutanchamun, wohl um mir zu zeigen, wie aufmerksam er mir immer zugehört hatte.
    «Ja, einen von den fünf Nubiern, die auf der Anhöhe Wache gehalten hatten. Nachdem er und die anderen tot waren, hatte mich erst Angst ergriffen, Angst, etwas Schreckliches angerichtet zu haben. Dann rechtfertigte ich mich vor mir selbst damit, dass Krieg herrschte und ich ein Soldat war, und ich empfand sogar Stolz. Ja, jetzt war ich wirklich ein Soldat, der von sich behaupten konnte, schon einmal einen Feind getötet zu haben. Wieder etwas später dachte ich über seine Familie nach, denn auch auf mich wartete zu Hause eine junge Frau, die mich liebte und die auch ich wieder sehen wollte. Wenige Stunden später, im wilden Getümmel der Schlacht, als mein damaliger Diener Senu und ich Schulter an Schulter kämpften, zählten keine Gefühlemehr. Es ging nur noch darum, den Feind zu vernichten oder selbst vernichtet zu werden. Und wenn mich mein Diener nicht im letzten Augenblick gerettet hätte, säße ich nicht hier. Ich kann dir nicht einmal sagen, wie viele Nubier allein Senu und ich getötet haben.»
    «Hast du nicht mitgezählt?», fragte mich Nassib, der als ehrgeiziger Jäger wohl nicht glauben konnte, dass einer die genaue Zahl seiner Beute nicht kannte.
    «Nein, in der Schlacht habe ich nicht mitgezählt. Später habe ich nie darüber nachgedacht, weil ich es gar nicht wissen wollte. Vielleicht, um mich selbst zu schützen.»
    Nassib nahm es so hin.
     
    An diesem Abend hatte ich Tutanchamun angelogen. Ich wusste genau, wie viele Nubier ich damals am Atbara erschlagen hatte: Es waren siebzehn. Und ich hätte ihm an jenem Tag noch den Tod eines jeden Einzelnen von ihnen beschreiben können. Die Augen eines Sterbenden, den vorwurfsvollen Blick des Unterlegenen, vergisst man nicht.

DREIZEHN
    Der Gute Gott, reich an Kraft,
    der mit starkem Arm steht vor seinem Heer;
    gewaltig mit dem Bogen, wenn er schießt,
    ohne dass seine Pfeile fehlen.
     
    D ie Siege, die Haremhab in seinem immerwährenden Kampf gegen die Hethiter und ihre Verbündeten errungen hatte, waren keine Siege. Es gab keine Siege, so wie es auch keine Niederlagen gab. Es gab nur unbedeutende Gemetzel, die von Mal zu Mal ein anderer für sich entschied. Sowohl Haremhab als auch Suppiluliuma hatten es vermieden, sich in einer offenen und alles entscheidenden Feldschlacht gegenüberzutreten, denn der Sieg des einen hätte bedeutet, dass der andere ein für alle Mal in die Bedeutungslosigkeit hinabgesunken wäre. Und um diesen Preis wollte keiner von beiden in die Schlacht ziehen. So gaben sich beide damit zufrieden, die Grenzen zwischen den beiden großen Reichen hier und dort zu verschieben, ohne dass sich Grundlegendes geändert hätte. Über die Jahre hinweg war dies freilich nicht zufrieden stellend, und die Aussicht, eines Tages als großer Kriegsheld gefeiert zu werden, schwand für beide Feldherren von Jahr zu Jahr, so wie die Kampfeslust ihrer Soldaten von einem Jahr zum anderen mehr und mehr abnahm.
     
    Haremhab bedrängte mich schon seit Wochen, der Aushebung neuer Soldaten und einem großen Feldzug gegen die Hethiterzuzustimmen, damit die Macht Suppiluliumas endlich gebrochen werden konnte. Ich hätte keinen Augenblick gezögert, wenn ich mir sicher gewesen wäre, dass Haremhab endlich Erfolg haben und die

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