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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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eigens für ihn angefertigten Arbeiterfiguren, den Uschebtis, mit ins Grab zu geben. Was die Grabausstattung betraf, würde dieses Begräbnis wahrhaft schlicht ausfallen. Einzig der Sarg Echnatons war eine der prächtigsten Arbeiten, die je die königlichen Werkstätten verlassen hatten. Echnaton ließ ihn in seinem dritten Regierungsjahr noch in Waset anfertigen, nachdem ein gedungener Mörder, ein verblendeter Diener Amuns, versucht hatte, Pharao in seinem Palast und vor den Augen aller umzubringen. Vierzehn Jahre ruhte der Sarg unbeachtet in den königlichen Schatzkammern, aber schon bald hatte er seinen traurigen Zweck zu erfüllen.
    Jetzt standen Tutanchaton und ich schweigend davor und sahen zu, wie er von zwei Priestern vorsichtig gereinigt und mit Duftöl eingerieben wurde.
    Es war nicht zu übersehen, dass der Sarg zu einer Zeit angefertigt wurde, als Echnaton die althergekommenen Götter Ägyptens noch nicht geleugnet hatte, denn es war ein menschengestaltiger Sarg, der einem zur Bestattung vorbereiteten Osiris glich. Das Besondere aber war dessen Oberfläche: ein Federgewand mit unzähligen winzigen Einlagen aus kobaltblauem, rotem, grünem und türkisfarbenem Glas, weißen Kristallen und Quarzen, die zwischen hauchdünne Goldstreifen gelegt waren. Es bedeckte den ganzen Körper. Noch nie hatte ich bis dahin Gold von so reiner, honiggelber Farbe gesehen wie andiesem Sarg. Irgendwie mussten es die Goldschmiede geschafft haben, alles natürlicherweise beigemengte Silber vom Gold zu trennen.
     
    «Das Federmuster weist auf die Verbindung des Verstorbenen mit seinem Ba, der vogelgestaltigen Seele, hin und auf Nut, die göttliche Himmelsmutter, die ihn umarmt und aus deren Leib heraus der Verstorbene zu seiner Wiedergeburt gelangt», erklärte ich dem Kind, um darauf wieder schweigend den Sarg zu betrachten.
    Brust und Schulter bedeckte ein breiter Kragen, wie ihn der König auch zu Lebzeiten getragen hatte. Eine üppige, zu Strähnen geflochtene nubische Perücke ließ das Gesicht des Toten klein und zierlich, ja unscheinbar wirken. An der Stirn prangte eine vergoldete Uräus-Schlange, und am Kinn war ein blauer, mit Goldfäden durchwirkter und geflochtener Götterbart angebracht. Das Gesicht war mit Goldblech überzogen. Die Augenbrauen, die Bemalung der Lider und die Lippen bestanden aus blauem Glasfluss. In der Mitte des Sargdeckels war eine senkrecht verlaufende Inschrift angebracht, und in den zur Faust geballten vergoldeten Händen der über der Brust gekreuzten Arme steckten Krummstab und Geißel.
    An der vorsichtigen Bewegung seiner Lippen erkannte ich, dass sich Tutanchaton an den Heiligen Zeichen versuchte. Plötzlich brach es laut aus ihm heraus: «Vollendeter Herrscher, Abbild des Re, König von Ober- und Unterägypten, der von der Wahrheit lebt, Herr der Beiden Länder, Echnaton, das vollendete Kind des lebenden Aton, von dem gilt: Er wird leben jetzt und immerdar bis in alle Ewigkeit, gerechtfertigt im Himmel und auf Erden.»
    Große und stolze Augen sahen mich an. Ich streichelte mit der Hand über seinen Kopf, zeigte auf das Fußende des Sarges und sagte: «Und diese Inschrift?»
    Der Junge atmete tief durch und begann – diesmal ohne Bedenkzeit – langsam, aber fehlerfrei zu lesen: «Diese Wortespricht Echnaton, gerechtfertigt an Stimme: ‹Ich möge atmen den erquickenden Hauch, der aus deinem Munde kommt. Ich möge erblicken deine Vollendung alle Tage. Mein Wunsch ist es, dass ich höre deine süße Stimme des Nordwindes, dass sich verjünge dein Leib im Leben deiner Liebe. Mögest du mir geben deine beiden Arme mit deiner Lebenskraft, damit ich sie entgegennehme und damit ich lebe davon. Mögest du rufen meinen Namen in Ewigkeit, ohne dass er vergeht in deinem Munde. Echnaton, du bist wie Re jetzt und immerdar bis in alle Ewigkeit, indem du lebend bist wie Aton.›»
    Dann las er wieder schneller: «König von Ober- und Unterägypten, der von der Wahrheit lebt, Herr der Beiden Länder, Echnaton, das vollendete Kind des lebenden Aton, von dem gilt: Er ist hier, lebend jetzt und immerdar bis in alle Ewigkeit. Sohn des Re, Echnaton, gerechtfertigt an Stimme.»
    Tutanchaton blickte zu mir hinauf, und viele kleine Falten durchfurchten die Kinderstirn: «Was bedeutet ‹gerechtfertigt an Stimme›?»
    «Das bedeutet, dass derjenige, der das spricht, ein Gerechtfertigter, also ein von den Göttern für gerecht befundener Toter, ist», antwortete ich ihm.
    «Besitzt du auch einen Sarg, der so

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