Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
alt.»
«Entsetzlich!», sagte sie und sah mich dabei genau an, damit sie sehen konnte, wie ich mich verhielt. Ich ließ mir jedoch nichts anmerken, was sie wahrscheinlich am wenigsten erwartet hatte.
«Wer ist der rechtmäßige Thronfolger?», fragte ich sie stattdessen ganz direkt, um zum eigentlichen Zweck meines Besuches zu kommen.
«Das fragst du mich? Ausgerechnet mich? Das tust du doch nur, weil du dich nicht traust, deiner eigenen Tochter diese Frage zu stellen. Ganz Ägypten bezeichnet mich als böses altes Weib; und du willst, dass ich dir auf die heikelste Frage, die man sich zur Zeit zwischen den Quellen des Nils und seiner Flussmündung stellt, eine Antwort gebe, damit man mich noch größerer Bosheit bezichtigen kann?»
Ihre beiden Hände umklammerten den Elfenbeinknauf desStockes, der zwischen ihren Beinen stand, dann legte sie ihr Kinn vorsichtig auf den Handrücken und blickte mit weit herabhängenden Augenlidern auf eine Schildkröte, die vor ihr im Sand kroch.
«Kein Mensch bezeichnet dich als böses altes Weib. Das redest du dir wieder ein. Du willst nur von mir hören, wie sehr man deinen Rat schätzt und für wie einflussreich man dich hält. Ist es denn Zufall, dass noch heute fast jeder Brief aus den Fremdländern an dich gerichtet ist, obwohl du nicht mehr in Waset, sondern zurückgezogen und in Achet-Aton lebst? Ist es Zufall, dass sich die meisten Bittsteller an dich wenden, wenn sie bei Hofe etwas erreichen wollen? Mich würde nicht einmal wundern, wenn du sogar heimlich zu den Sehenden des Amun Verbindung halten würdest.»
Jetzt war ich es, der genau in ihr Gesicht sah. Doch es blieb völlig regungslos. Nach einigen Augenblicken hob sie den Kopf etwas an und sagte leise, so leise, dass nur ich es hören konnte: «Und wenn es so wäre?»
Sie drehte ihren Kopf etwas zu mir, hob die Lider so weit sie nur konnte und erwartete meine Antwort. Ich kannte meine Schwester gut genug, um zu wissen, dass ihre letzten Worte weniger eine Frage, sondern bereits ein Eingeständnis waren.
«Offen gestanden bin ich etwas überrascht. Doch es könnte ja sein, dass wir irgendwann einmal für deine Verbindung zu ihnen dankbar sein werden.»
Sie legte ihr Kinn wieder auf den Handrücken und sah erneut auf die Schildkröte, während ich ein Steinchen aufhob und es nach dem Tier warf. Geschwind zog die Getroffene den Kopf ein, woraufhin Teje sogleich fauchte: «Lass das!»
In ruhigerem Ton fuhr sie dann fort: «Gehe sehr vorsichtig damit um, Eje. Der Preis für ihre Unterstützung wird diesmal hoch sein. Sehr hoch sogar, mein Bruder! Wer auch immer auf die Priester zugehen wird, sein Kniefall wird beachtlich sein müssen», flüsterte sie jetzt noch leiser als zuvor.
«Mehr als die Wiederherstellung der alten Ordnung?»
Ruckartig wandte sie sich mir zu.
«Eje!», sagte sie jetzt laut und in zurechtweisendem Ton. «Wie vielen Herrschern hast du gedient? Glaubst du wirklich, damit wäre es getan? Sie werden nicht einmal dulden, dass der Herrscher, der ihre Gnade findet, die Beiden Länder von Waset aus regiert. Sie werden die Herrschaft über Oberägypten für sich allein beanspruchen und ihrem König Unterägypten und Men-nefer überlassen. Und sie werden dem künftigen Pharao abverlangen, dass er für Ägypten und alle Welt sichtbar Aton als dem einzigen Gott abschwört.»
Lange saßen wir wie ein altes Paar schweigend nebeneinander. Teje war mir noch eine Antwort auf meine erste Frage schuldig.
«Und wer ist nun der rechtmäßige Herrscher Ägyptens?», unterbrach ich die Stille.
«Deine Tochter ist es nicht, Eje! Und Tutanchaton ist es jedenfalls so lange nicht, bis du die Zustimmung all derer, die ihn an der Machtausübung hindern könnten, gefunden haben wirst. Doch höre die Meinung einer bösen alten Frau: Nofretete wird nicht einen Augenblick daran denken, die Herrschaft aus der Hand zu geben. Ich liebe deine Tochter, als wäre sie mein eigenes Kind. Aber ich habe sie genau angesehen, als sie ihr Schiff verließ: Ihre Augen waren kalt und doch so unruhig; ihr Blick war durchdringend und misstrauisch zugleich. Ihr Auftreten und ihre Haltung waren herrschaftlich, dennoch machte sie einen unsicheren Eindruck auf mich. Nimm dich in Acht vor ihr, Eje! Nimm dich vor deiner Tochter in Acht! Und wenn der Schwur, welchen du Amenophis und Echnaton geleistet hast, etwas wert sein soll, dann hüte deine Zunge! Jedes deiner Worte würde dem Knaben, den du beschützen sollst, mehr schaden, als es ihm
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