Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
weiter wie eh und je. Die Felder mussten bestellt und die Kühe gemolken werden. Die Fischer warfen Tag für Tag auf dem Nil ihre Netze aus, und die Jäger jagten im Schilf Enten, Krokodile und Flusspferde. An den Ufern des Flusses wurden Tag für Tag Tausende Ziegel geformt und in der sengenden Hitze getrocknet, damit sie wenige Tage später zu den Baustellen geschleppt und dort verbaut werden konnten. Die Frauen der Färber sammelten von den Bäumen rote Schildläuse, trockneten und zerstießen sie, damit aus ihnen Tuche gefärbt wurde. Die Filzmacher und Gerber gingen nach wie vor ihrem übel riechenden Handwerk nach, um das jeder einen großen Bogen machte. Auch für die Mächtigen Ägyptens schien sich auf den ersten Blick nicht viel geändert zu haben: Die Priester verrichteten im großen Atontempel, dem Gempa-Aton, unter der Aufsicht Merires, des Ersten Sehenden des Aton, ihr frommes Werk. Die Wedelträger, der Schatzmeister, die Palastvorsteher, der Oberste der Polizei versahen ihre tägliche Arbeit im Dienst Pharaos, nur dass dieser jetzt weiblich war und Semenchkare hieß.
Und Nofretete selbst? Sie zeigte sich jeden Tag aufs Neue als Herrscherin, als wäre sie es schon seit zwanzig Jahren. Wie in den glücklichsten Tagen Echnatons fuhr sie frühmorgens im Prunkwagen, begleitet von ihrer Tochter Meritaton, vom Nordpalast zum Gempa-Aton, pries den einzigen Gott und brachte ihm Opfer dar. Von dort zog sie in den Stadtpalast, um mit den Großen Achet-Atons die anstehenden Staatsgeschäfte zu besprechen.
Über einem hauchdünnen Obergewand trug Nofretete auf den Schultern einen breiten Goldkragen, und zum ersten Mal sah ich auf ihrem Kopf eine eng anliegende Kappe, die teils dem blauen Kriegshelm der Pharaonen nachempfunden war, mich aber mehr noch an die uralte Kappe des Ptah erinnerte. Nach der hoch aufragenden, der unterägyptischen Krone so ähnlichen Haube früherer Tage war jene Kappe die zweite königliche Kopfbedeckung, die Nofretete selbst geschaffen hatte. Ich brauchte noch lange, bis ich die Bedeutung dieser eigenartigen Schöpfungen begriffen hatte.
«Gibt es in Achet-Aton noch Fälle von Pesterkrankungen?», fragte sie, ohne dabei ihre Blicke auf ein bestimmtes Gesicht zu richten, in die kleine Runde, die sich in der Audienzhalle vor ihr versammelt hatte.
Echnatons Leibarzt Tutu trat einen Schritt nach vorn, verneigte sich und sagte: «Eure Majestät, sie lebe, sei heil und gesund, kann beruhigt sein. Im Gegensatz zu anderen Städten des Landes ist Achet-Aton weitgehend verschont geblieben. Es gab insgesamt nur siebzehn Pesttote in der Stadt. Wir haben es wohl der Weiträumigkeit der Stadt und den strengen Kontrollen, die Euer Gemahl angeordnet hatte, zu verdanken, dass die Seuche nicht weiter um sich greifen konnte. In den engen Arbeitervierteln von Men-nefer sah es wohl anders aus.» Tutu verneigte sich erneut und trat wieder einen Schritt zurück.
«In Waset sind gar keine Fälle von Pest bekannt geworden», sagte meine Tochter, und in ihren Worten war ein leicht überheblicher Unterton nicht zu überhören. «Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass deine übereilte Flucht nach Merwer nicht nötig gewesen wäre, Vater», fuhr sie fort und sah mich dabei mit herausfordernd hochgezogenen Augenbrauen an.
«Es war der ausdrückliche Wunsch deines Gemahls, dass ich den Thronfolger in Sicherheit bringe, und keine Flucht vor einer überschätzten Gefahr», antwortete ich ihr und gab mir größte Mühe, meine Worte nicht allzu rechthaberisch klingen zu lassen.
Ich sah, wie ihre Hände ruckartig die Löwentatzen am Ende der Armlehnen ihres Throns umklammerten und wie sich ihr Blick verfinsterte. Deutlicher als je zuvor erkannte ich kräftige Falten um Nase und Mund sowie stark nach unten gezogene Mundwinkel. Dann sagte sie: «Ich glaube nicht, dass es meinem Gemahl in erster Linie um das Kind seiner Geliebten ging. Er dachte gewiss nur an die Gesundheit und das Wohl seines über alles geschätzten Gottesvaters.»
Nofretete presste die Lippen fest zusammen, und so war nicht zu übersehen, dass sie an dieser Stelle kein weiteres Wort über Tutanchaton hören oder verlieren wollte. Aper-el und Mahu sahen mich verschüchtert, fast verängstigt aus ihren Augenwinkeln an, und trotz der Flüchtigkeit ihrer Blicke erkannte ich darin ihr Flehen, dass ich jetzt schweigen möge.
«‹Denke daran, dass du jetzt für die Zukunft Ägyptens verantwortlich bist›, sagte Echnaton zu mir, bevor ich
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