Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
schlagen. Aber ich wollte dir vor Augen führen, wohin …» Ich geriet ins Stocken, und Nafteta bemerkte das sofort.
«Wohin was?», fragte sie und blieb jetzt vor einem Viereck stehen, aus dessen Papyrusdickicht zwei Wildenten aufflogen, von denen die rechte so heftig mit den Flügeln schlug, dass sich von einem Strauch neben ihr das Laub löste und sacht herabfiel. Wo waren jene Tage geblieben, als die ganze Liebe des Königspaares der Wahrhaftigkeit und der Anmut der Natur gegolten hatten und nicht den üblichen Ränken bei Hofe? Warenes nicht sie und Echnaton gewesen, die die Liebe über den Hass, die den Glauben an Aton als den einzigen Gott über alles Menschenstreben gestellt hatten? Jedes Abbild der königlichen Familie war ein Zeugnis ihrer Zuneigung zueinander und ihrer Friedfertigkeit gegenüber allen anderen Völkern der Erde gewesen. War ihr Streben nach Macht, war ihr Wille, Tutanchaton um jeden Preis der Welt von der Krone fern zu halten, alles, was davon übrig geblieben war?
Ich ging langsam weiter und sagte: «Wohin es führen kann, wenn man von der Macht, die einem nicht wirklich zusteht, nicht loslassen kann.»
Dann blieb auch ich stehen und drehte mich nach ihr um.
Nafteta war wider Erwarten völlig ruhig geblieben und sah weiter auf das Bild vor ihr.
«Ich glaube, dass du einige Dinge nicht richtig siehst, Vater. Du und wahrscheinlich auch deine Freunde, ihr glaubt, ich würde jetzt nach Echnatons Tod nach der Krone der Beiden Länder greifen. Das ist schon längst geschehen. Doch nicht ich war es, die nach der Krone gegriffen hat. Echnaton hat sie mir aufgesetzt. Ich habe – und Aton weiß es – nicht danach gegiert. Ich sehnte mich vielmehr danach, hier zu bleiben und mein Leben an der Seite Echnatons und meiner Töchter zu verbringen. Dann wäre auch Maketaton vielleicht noch am Leben!» Eine Träne rann über ihre Wange und fiel lautlos zu Boden, um auf der leuchtend blauen Blüte einer Kornblume für kurze Zeit einen winzigen dunklen Fleck zu hinterlassen.
«Du weißt so gut wie ich, dass es damals keine andere Wahl gab. Echnaton hätte sich lieber in tausend Stücke reißen lassen, bevor er Achet-Aton verlassen hätte, und auch die Einheit der Beiden Länder stand auf dem Spiel», wendete ich ein. Ich legte meine Hände auf ihre Schultern und sah sie an. Doch sie wollte meine Blicke nicht erwidern und schaute hinaus auf den Fluss, der nicht weit entfernt an uns vorüberzog.
«Das mag sein. Doch damals war es euch allen recht, dass ich als Herrscherin nach Waset ging. Da fragte niemand nach meinerFamilie, nach meinen Kindern, nach meinem Glück. Aber heute, da geht es euch allen um die Zukunft dieses Knaben. Ja, dessen Schicksal rührt euch plötzlich! Heuchler seid ihr alle!»
Kaum dass sie das gesagt hatte, wurden ihre Gesichtszüge wieder hart, wie an dem Tag ihrer Rückkehr, als sie das Schiff verlassen hatte.
«Hör mir zu, Nafteta!», rief ich und rüttelte an ihren Schultern. «Hör mir zu! Du sollst Regentin bleiben! Niemand spricht dir ab, dass du die Regentin für Tutanchaton sein sollst. Aber nach unseren Gesetzen hat Tutanchaton spätestens mit Eintritt der Großjährigkeit den alleinigen Anspruch auf den Thron, und schon jetzt steht es ihm zu, dass er zum Pharao ernannt wird. Warum willst du das nicht wahrhaben?»
Endlich sah sie mich an. Ihre Augen verengten sich dabei zu Schlitzen. Ihre Lippen waren nur noch schmale, blutleere Striche, und Zornesröte stieg in ihr Gesicht.
«Solange ich lebe, wird dieser kleine Bastard niemals den Thron Ägyptens besteigen. Dessen sei dir gewiss, Vater! Ich habe Echnaton geliebt, wie keine andere Frau dieser Welt je einen Mann geliebt hat. Nur aus Liebe zu ihm habe ich ihn und drei meiner Töchter verlassen und bin nach Waset gegangen. Ich wäre für ihn auch bis in den Süden Nubiens gegangen, wenn er es von mir verlangt hätte. Aber wie konntest du es zulassen, du, der Einzige, auf den er je gehört hat, dass er sich mit dieser Frau einließ? Glaubst du, ich wüsste nicht, welch süßes Leben hier geführt wurde? Glaubst du, ich hätte die Abbildungen dieser Frau an den Wänden der Tempel und Paläste nicht gesehen? Und während hier süßer Friede und Liebe herrschten, musste ich mich in Waset mit Heuchelei, Verrat, Lug und Trug herumschlagen. Ich habe gelernt, wie man mit diesen Leuten umgeht. Ich verstand es, die Pest von Waset fern zu halten. Ich habe in Waset für Ruhe und Ordnung gesorgt, während man hier ungestraft
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