Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Gewissen etwas beruhigt. Auf dem Schiff konnte Sessu nichts geschehen.
Frühmorgens wurde Sessu in das Haus Bakis gebracht, wo er die Armreife Tutanchatons anlegte, nachdem ich Letzterem hoch und heilig versprochen hatte, dass er sie bald wiederbekommen würde. Ich hatte mich sehr schnell verabschiedet, damit mir der traurige Anblick Nassibs nicht das Herz brach, denn sein Muttermal war mir nicht aus dem Kopf gegangen, und die Vorstellung, er wäre doch mein Sohn, hatte sich tiefer in mein Herz hineingebrannt denn je.
Sessu bestieg mit mir die Sänfte, und Ipu, der in alles eingeweiht war, schloss ihre Vorhänge und führte unsere Träger zum Hafen zurück.
«Der Kommandant meines Schiffes soll dich nicht sofort erkennen», sagte ich zu Sessu. «Deshalb tun wir so, als seist dukrank. Ipu wird dich schnell in das Deckshaus des Schiffes tragen, und dort beraten wir weiter. Und damit keiner den Schwindel merkt, nennen wir dich jetzt alle Nassib!» Sessu nickte.
Noch in der Sänfte wickelte Ipu den Jungen in ein Tuch, nahm ihn in seine Arme und trug ihn auf das Schiff.
«Er hat sich den Magen verdorben», brummte ich dem Kommandanten entgegen und schob ihn mit der Linken zur Seite, damit wir ungehindert die Tür des Deckshauses erreichten. Ich schob Ipu und Sessu, der jetzt Nassib hieß, hinein und befahl, eiligst abzulegen.
«Ihr solltet ihm nicht zu nahe kommen», riet ich dem Kommandanten. «Ihr könntet Euch anstecken. Wer weiß, was er hat. Ich sorge dafür, dass er sich nur am Bug aufhält, und Ihr kümmert Euch darum, dass ihm keiner zu nahe kommt.»
Niemand an Bord schöpfte Verdacht. Wenn Ipu die Warnung aussprach, dass der Junge das Deckshaus verlassen würde, flüchteten sich alle zum Heck des Schiffes und harrten dort verängstigt, bis sich der vermeintlich Kranke wieder in seine Kabine zurückzog.
Abgesehen von der Aufregung, die wegen seiner Person an Bord herrschte, genoss der Junge die Reise in vollen Zügen. Er erzählte mir, dass er keine Eltern mehr hatte und er deswegen Tempelschüler wurde. Zum ersten Mal in seinem kurzen Leben hatte er Achmim weiter als eine halbe Tagesreise verlassen, und bald sollte er die größte und schönste Stadt der Welt erreichen. Nur würde er dort nicht viel zu sehen bekommen.
Nur die Anfahrt, die Anfahrt auf die Stadt und in den Hafen von Waset, durfte er vom Bug des Schiffes aus genießen. Dann musste er für einige Stunden die stickige Kammer hüten, ohne sie auch nur einmal zu verlassen. Er versprach es mir bei allem, was ihm heilig war, weil ich zuvor versprochen hatte, ihm Pfeil und Bogen zu schenken, wenn wir in Achmim zurück waren.
Tags zuvor hatte ich einen Boten von Land aus vorausgeschickt, damit Nofretete von meiner Ankunft unterrichtet war, und sofuhr ich gemeinsam mit Ipu am Ostufer des Flusses ein Stück nach Süden, und wir setzten dort auf einer Fähre über. Von weitem grüßten mich die zwei riesigen Figuren Nimurias vor dessen Tempel der Millionen Jahre, und mit einem stillen Seufzer erflehte ich mir seinen Beistand für das, was jetzt vor mir lag. Wenig später schon öffneten sich vor uns die schweren Palasttore, und es dauerte nur noch wenige Augenblicke, bis ich im Thronsaal des Palastes vor meiner Tochter, vor Meritaton und einigen ihrer Berater stand. Sie war nicht bereit gewesen, mit mir allein zu sprechen, sondern bestand auf allen Förmlichkeiten eines offiziellen Empfangs. Sie trug die von ihr selbst geschaffene, eng anliegende Kappe und bis auf den Zeremonialbart alle Insignien der pharaonischen Herrschaft: Geißel und Krummstab, Schulterkragen, Prunkgürtel und goldene Sandalen.
Ich begrüßte sie mit aller gebotenen Höflichkeit, dann stieg ich die drei Stufen zu ihrem Thron empor und küsste erst sie auf beide Wangen, dann Meritaton, um darauf wieder nach unten zurückzukehren. Alle hörten mir sehr aufmerksam zu, als ich vom Tod meiner Schwester Teje berichtete und davon, dass sie die letzten Augenblicke nicht allein sein musste.
«Die Mutter deines Gemahls», sagte ich schließlich, «hat aber auch einen letzten Wunsch geäußert, den ich hiermit erfülle. Nachdem ich der Sterbenden berichtet hatte, wie es um die Freunde Ägyptens in Syrien steht, dass nach Rib-Addi auch Ammunira von Berut und Zimrida von Sidon besiegt waren, war es ihr letzter Wille, dass ich vor dich trete und bei dir für die Freunde Ägyptens um Hilfe flehe.»
Der Gesichtsausdruck Nofretetes verfinsterte sich zusehends. Unbeirrt fuhr ich in meiner
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