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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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«War jemand in meiner Abwesenheit an Bord?»
    «Nur der Hafenmeister und ein Offizier haben sich hier umgesehen. Sonst niemand, mein Herr», gab er mir zur Antwort, und sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er nichts Besonderes daran fand. Ich lief zum Deckshaus, riss seine Tür auf und ging hinein. Es brauchte eine Weile, ehe sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, doch dann erkannte ich Sessu. Er lag leblos auf seinem Bett, seine gebrochenen Augen starrten mich anklagend an. Das Seil, mit dem sein Mörder ihn erwürgt hatte, war noch um den dünnen Hals des Kindes geschlungen, und dessen Enden hingen vom Bett herab. Der Mörder hatte das Seil zu einem Seemannsknoten gebunden, die man verwendet, wenn ein Schiff am Hafen anlegt. Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sein Mordwerkzeug wieder mitzunehmen.
    Ich kniete vor dem Jungen nieder und hoffte, seinen Pulsnoch fühlen zu können. Aber sein Herz hatte längst aufgehört zu schlagen.
    «Es sind jetzt Tatsachen geschaffen, die meine Herrschaft und die einstige Herrschaft meiner Töchter unumkehrbar machen», hatte Nofretete vor weniger als zwei Stunden zu mir gesagt. Und erst jetzt begriff ich, was sie damit gemeint hatte.
    Die Wut meiner Tochter würde noch viel größer werden, wenn sie erst erfuhr, dass sie sich von mir hatte täuschen lassen. Sie würde nicht nur Tutanchaton, sondern sie würde auch mich hassen und verfolgen, wo immer ich mich aufhielt. Daran hatte ich jetzt keinen Zweifel mehr. Mit dem Mord an dem kleinen, unschuldigen Kind hatte mir Nofretete gezeigt, wozu sie bereit war. Ich war ein für alle Mal gewarnt.
    Schon wenige Augenblicke, nachdem ich das tote Kind entdeckt hatte, legte unser Schiff ab. Der Kommandant weigerte sich erst, die Reise mit einem Toten an Bord anzutreten. Das würde Unglück bringen, sagte er.
    «Dein Unglück wird noch viel größer werden, wenn du nicht augenblicklich in Richtung Norden aufbrichst!», rief ich ihm zornig entgegen. Jetzt gehorchte er, und schon bald ließen wir die Tempel und Paläste der größten und schönsten Stadt Ägyptens hinter uns. Ich gab an diesem Tag alle Hoffnung auf, sie jemals wieder zu sehen.
    Nach wenigen Stunden erreichten wir eine kleine Stadt, von der ich wusste, dass es dort eine Werkstatt der Balsamierer gab. Dort hielten wir kurz an und übergaben dem Vorsteher die Leiche des Knaben. Er erkannte sofort, dass Sessu keines natürlichen Todes gestorben war, und so kosteten mich sein Schweigen und seine Bereitschaft, das Kind anständig für die Reise in das jenseitige Leben vorzubereiten, zwanzig Deben Gold. Ich kündigte ihm an, dass ich die Mumie des Kindes in zwei Monaten wieder holen würde, weswegen ich ihm dringend anriet, mich nicht zu betrügen.
    Das Hundertfache hätte ich gegeben, wäre Sessu noch am Leben gewesen.
    So schnell wir nur konnten, fuhren wir nach Achmim zurück, und früher, als ich es vorausgesagt hatte, konnte mich Tutanchaton wieder in seine Arme schließen.
    Mein Vetter Baki machte mir wegen des toten Knaben keine Vorwürfe, und ich glaube, er hatte das Unheil kommen sehen. Baki wusste auch, in welcher Gefahr sich Tutanchaton und ich befanden, und deswegen fragte er mich mit besorgter Miene, was ich jetzt vorhätte.
    Nofretete würde alles daransetzen, um in Erfahrung zu bringen, wo sich Tutanchaton aufgehalten hatte, während ich bei ihr war. Deswegen konnte ich Baki nicht die Wahrheit sagen. Ich musste ihm aber irgendeine Antwort geben, wollte ich ihm die sichere Folter ersparen.
    «Ich werde mit dem Jungen nach Nubien gehen», log ich ihn an.
    «In Napata leben Verwandte meiner zweiten Frau Ti. Dort wird uns niemand vermuten. Vielleicht kommen doch noch bessere Zeiten über Ägypten, dann sehen wir uns wieder, Baki. So oder so: Ich danke dir für alles, was du für uns getan hast. Und verzeih mir, wenn ich dich in Bedrängnis gebracht habe. Ich habe es dennoch für die richtige Entscheidung gehalten.»
     
    Er begleitete uns wenig später zum Hafen, wo er sich von uns verabschiedete. Wir bestiegen ein Handelsschiff in Richtung Süden, damit Baki wirklich glaubte, unsere Flucht würde uns nach Nubien führen. Aber schon in der nächsten Stadt gingen wir wieder von Bord und bestiegen am anderen Tag ein Schiff, das uns nach Achet-Aton bringen sollte. Es war Eile geboten, ehe uns die Rache Naftetas erreichen konnte.
    «Wir müssen aus Ägypten fliehen», sagte ich bedächtig und leise zu Nassib, als wir am Bug des Schiffes standen und

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