Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Herr, der General Haremhab, lässt überall in den Beiden Ländern nach Seiner Majestät, sie lebe, sei heil und gesund, und nach Euch suchen. Ich soll Seine Majestät nach Achet-Aton bringen, damit er dort den Thron seiner Väter besteigt und über Ägypten herrscht. Denn Königin Semenchkare Anchet-chepru-Re ist von uns gegangen und …»
«Meine Tochter ist tot?», unterbrach ich ihn jäh. «Was ist in Waset geschehen, Paramessu?»
«Ich kann es Euch nicht sagen, Gottesvater Eje. Ich weiß nur, dass die Herrscherin und außer Anchesen-paaton auch alle ihre Töchter nicht mehr am Leben sind.»
«Wann ist das geschehen?», fuhr ich ihn an.
«Vor genau drei Wochen, Herr.»
Nafteta nicht mehr am Leben! Meine Enkeltöchter bis auf eine tot! Was mochte nur geschehen sein? Dass sie Tutanchaton nach dem Leben getrachtet hatte, musste ich selbst erleben. Dass sie anschließend auch mich aus dem Weg räumen lassen wollte, hatte ich stets angenommen. Sie mochte eine hundertfache Mörderin gewesen sein, und dennoch war die Botschaft des Soldaten so unbegreiflich für mich, dass ich ihn noch einmal fragte: «Bist du dir sicher, dass Semenchkare Anchet-chepru-Re nicht mehr lebt? Woran ist sie gestorben?»
Paramessu tat sich schwer, mir zu antworten, und sah verlegen zu Boden. Nur zögerlich sprach er weiter: «Man sagt, aber ich weiß es nicht sicher, man sagt, sie alle seien umgebracht worden. Aber bitte, Gottesvater, ich weiß es wirklich nicht genau!»
«Umgebracht!», wiederholte ich leise und bereute es schon, danach gefragt zu haben. Es machte keinen Sinn, den armen Offizier weiter zu bedrängen. Wahrscheinlich hatte er ohnehin schon mehr gesagt, als ihm erlaubt war.
«An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken», sagte ich zu Nassib. «Wir sollten deshalb aufbrechen und diesen unbequemen Ort verlassen.» Ich nahm seine Hand und zog ihn hoch, denn seine Glieder waren noch steif vom Schlaf. Um mich zu ärgern, machte er sich absichtlich schwer.
«Komm schon!», versuchte ich, seinen Tatendrang anzuspornen. «Während Ipu unsere Sachen zusammenpackt, wollen wir sehen, was da draußen los ist.»
Auf halber Höhe umrundeten wir durch ein Spalier von etwazwanzig Soldaten den Felsen, stiegen einige Schritte weiter nach oben, bis wir eine kleine Plattform des Felsens, der aussah wie ein kleines Mädchen, das am Ufer kniet und trinkt, erreicht hatten. Der Tag war schon so weit fortgeschritten, dass man die Welt nicht nur in grauen und schwarzen Farbtönen, sondern in ihren wirklichen Farben wahrnehmen konnte, und so wandte ich mich nach Osten, um festzustellen, wie lange es noch bis Sonnenaufgang dauerte.
Da sah ich sie alle.
«Komm zu mir, Nassib! Komm schnell her!» Ich nahm ihn bei der Hand, zog ihn an mich heran, um mich hinter ihn zu stellen. Voller Stolz legte ich meine Hände auf seine Schultern und rief, so laut ich nur konnte:
«Der Sohn des Aton ist erschienen, Tutanchaton Neb-chepru-Re, Herrscher von Ober- und Unterägypten, er lebe, sei heil und gesund!»
Es waren etwa hundert Soldaten, die dort unten gewartet hatten, nicht ahnend, dass sich in der kleinen Höhle, die sie aufgespürt hatten, ihr künftiger Herrscher versteckt hielt und nicht bloß ein Gewürzhändler mit seinem Enkel und einem Diener.
Sie alle fielen jetzt vor ihrem Herrscher nieder, und auch ich ließ von meinem Schützling ab, der von nun an mein Herr war, mein Herrscher und mein Guter Gott, um vor ihm niederzufallen, wie es sich ziemte.
Augenblick um Augenblick verging in vollkommener Stille, und als ich mir sicher war, dass es die Hilflosigkeit Tutanchatons war, die uns noch immer zu Boden liegen ließ und nicht kindliche Eitelkeit, flüsterte ich ihm zu: «Du musst einen Befehl geben, wenn du willst, dass wir nicht länger schweigend im Staub liegen.»
«Welchen Befehl?», fragte er mich hilflos.
«Ruf einfach laut: ‹Erhebt euch!› Das ist genug.»
«Das kann ich nicht so laut, dass es alle hören», sagte er ganz leise zu mir.
«Du bist Pharao! Du kannst es!», ermutigte ich ihn.
Es dauerte noch einige Augenblicke, bis Nassib endlich Mut genug hatte, um mit einer knabenhaften Stimme, die sich beinahe überschlug, laut hinauszubrüllen: «Erhebt euch!»
Bald darauf stand ich wieder hinter ihm, legte erneut meine Hände auf seine Schultern und drückte sie etwas, um ihm so meine Anerkennung zu zeigen. Die Soldaten vor uns zogen nun ihre Schwerter und begannen mit ihnen erst langsam und gleichmäßig, dann immer
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