Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Maimun Einzug hielten. Es waren wohl ausnahmslos alle Bewohner auf den Beinen, denn die Straßen und Plätze quollen von Menschen nur so über. Unser Weg führte uns zum Hafen, wo wir ein Kriegsschiff bestiegen, um am späten Nachmittag in Richtung Achet-Aton abzulegen.
Wie nur selten zuvor genoss ich die Fahrt auf dem ruhigen Fluss, und mit dem gleichen Eifer, den vor über fünfzig Jahren mein Vater gezeigt hatte, als wir von Men-nefer zur Krönung Nimurias nach Waset gefahren waren, erklärte ich Nassib alles, was an den Ufern des Nils an uns vorüberglitt. Uralte Städte, aber auch kleine Dörfer, deren Namen sich zu merken nicht lohnt, weil sie vielleicht morgen schon aus Furcht vor der Nilschwemme verlassen wurden. Wir sahen weite Felder, Obst- und Gemüsegärten, die sich nach Westen zu weiter ausdehnten als in östlicher Richtung, denn von Hiba bis nach Minia ragten die Hänge der östlichen Berge so dicht an den Nil, dass sein Ufer in diesem Bereich nahezu unbewohnt war. Am dritten Morgen sahen wir im Licht der aufgehenden Sonne Grabhügel aus längst vergangener Zeit, die man auch «Sykomorenhügel» nannte. Jene Gegend war unbewohnt, und über den Gräbern, die man aus weiter Entfernung nur in ihren Umrissen erkennen konnte, lag ein geheimnisvoller Schleier des Vergessens aus Wüstensand, Unkraut und verkrüppelten Sträuchern. Aber schon bald sahen wir zwischen Palmenhainen und uralten Sykomoren, zwischen Nilakazien und Obstbäumen jene dicht bewachsenen Getreidefelder, die seit jeher den wahren Reichtum Ägyptens ausmachten. Nur reiche Getreideernten bedeuteten Wohlstand und Zufriedenheit, denn allein vom Gold ihrer Herrscher wurden die Hungrigen noch nie satt.
Tag für Tag segelten unzählige kleine und große Segelschiffe an uns vorbei, nach Norden ebenso wie nach Süden. Wir sahen die Fischer auf ihren schlanken Papyrusbooten, und ich konnte mir noch immer nicht vorstellen, wie ein Mann von diesen schmalen, wackligen Booten aus Fische harpunieren konnte,ohne ins Wasser zu fallen und selbst zur Beute gierig lauernder Krokodile zu werden.
Da wir auf einem unauffälligen Kriegsschiff fuhren, ahnte natürlich keiner von denen, die uns begegneten, wer ihren Gruß so fröhlich erwiderte. Ja, Tutanchaton war auffallend fröhlich während unserer fünftägigen Reise, und gewiss lag es nicht nur daran, dass ihm als dem künftigen Pharao jede nur denkbare Aufmerksamkeit zuteil wurde. Es war die erste Schiffsfahrt, die der junge Horus völlig unbeschwert und frei von allen Ängsten unternahm, die nicht einer Flucht glich und bei welcher an jedem Ort, den wir erreichten, laut verkündet wurde, wer es war, der an Land ging: «Der Sohn des Aton ist erschienen, Tutanchaton Neb-chepru-Re, der Herrscher von Ober- und Unterägypten, er lebe, sei heil und gesund!»
Es war nicht zu übersehen, dass sich Nassib von Tag zu Tag besser in der Rolle des Herrschers gefiel. Ich hatte ihn gelehrt, wie er sich zu bewegen hatte, wohin er blicken sollte, wenn er in seiner Sänfte durch die Menge getragen wurde, wie er zu sprechen hatte und dass er meist gut daran tat, zu schweigen. Mit Genugtuung beobachtete ich, dass seine Bewegungen bedacht und langsam waren und somit würdevoll wirkten. Mit unbewegter Miene sah er über die Köpfe der Menschen hinweg, als starrte er in weiter Ferne auf einen magischen Punkt, der ihn nicht mehr losließ. Das Ansprechen von Untergebenen in einem größeren Kreis überließ er gänzlich mir allein, und die wenigen Worte, die man von ihm dann zu hören bekam, waren: «Erhebt euch!», oder: «Ihr könnt euch entfernen!» Wer wie Tutanchaton schon in so jungen Jahren das Auftreten eines ägyptischen Königs beherrschte, der würde einst gewiss ein vollkommener Herrscher sein. Daran hatte ich keinen Zweifel.
Er saß mir an einem niedrigen Tisch gegenüber, auf welchem sein Senetspiel stand. Die Ellbogen seiner angewinkelten Arme waren auf die unruhig hin und her wackelnden Knie gestützt, während sein Kopf in den geöffneten Händen ruhte. Seinedunklen Augen huschten unruhig über das Spielbrett, und nur ab und zu sah er mich an, als wollte er an meinen Gesichtszügen ablesen, ob ich die Stellung seiner Spielsteine als hoffnungsvoll einschätzte oder nicht. Senet! Mit welcher Leidenschaft hatte sein Großvater Amenophis dieses Spiel gespielt! Er hatte es, sooft es nur ging und mit einer solchen Begeisterung, gespielt, dass es kaum einer gewagt hatte, ihn zu besiegen, selbst wenn es nur noch
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