Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
eines einzigen Zuges bedurft hätte, um den Guten Gott zu schlagen.
Meine Gesichtszüge verrieten gar nichts. Vor allem verrieten sie Nassib nicht, dass er mich in wenigen Augenblicken zum zehnten Mal an diesem Tag besiegt haben würde. Ohne mich anzusehen, erhob er die rechte Hand, streckte mahnend den Zeigefinger nach oben und rief, während sein Kinn nur noch in der Linken ruhte, langsam und bedächtig, aber unüberhörbar siegesbewusst: «Eje, ich glaube, der Spaß hat jetzt ein Loch!» Dann sank seine Rechte langsam auf das Spielbrett nieder, ergriff dort seinen Jäger, führte ihn in kreisenden Bewegungen von Feld zu Feld, und dabei sang er mit der fröhlichen Überheblichkeit des Siegers: «Nilpferd, Nilpferd, Steinbock, Affe, Löwe. Aus!»
Ich hatte es längst kommen sehen, und doch war ich beeindruckt, wie selbstsicher er mit seinen acht Jahren dieses Spiel, das eben nicht nur ein Spiel war, sondern jedem Beteiligten größte Aufmerksamkeit abverlangte, beherrschte.
«Ich werde dir zu deiner Krönung ein Senetspiel schenken», sagte ich im anerkennenden Ton des Unterlegenen. «Ein Senetspiel, wie du es noch nicht gesehen hast, Nassib. Mit magischen Steinen, die nur mir gehorchen. Dann ist Schluss mit ‹Affe, Löwe. Aus!› Dann wird nur noch Eje gewinnen.»
«So etwas gibt es doch gar nicht», lachte er mich an, doch sein etwas verlegenes Lächeln verriet mir, dass er sich seiner Sache nicht ganz sicher war.
«Gibt es nicht?», wiederholte ich und war froh darüber, endlich ein Geschenk für ihn gefunden zu haben, das ihm wirklich Freude machen würde. «Du wirst es erleben!» Ich stellte mir einenlänglichen, dunkelbraunen Holzkasten vor, dessen eine Seite dreißig weiße Felder und die gegenüberliegende Seite zwanzig weiße Spielfelder zeigt. Im Inneren des Holzkastens würden sich zwei Schubladen befinden, in welchen man die Steine und die Wurfstäbchen aufbewahrte. Die Beine würden in goldenen Löwentatzen enden, und die Seiten des Kastens würde ich mit Schriftzeichen aus eingelegten Goldfäden versehen lassen. Ich war mit meinem Geschenk zufrieden.
«Weißt du eigentlich, wer deine Große königliche Gemahlin sein wird?», fragte ich ihn, um für einige Augenblicke wieder zu einem ernsten Thema zurückzukehren. Er schüttelte unmerklich den Kopf und sah mich ernst, ja fast ängstlich an, während seine Hand nach unten glitt, um Räuber, der schon die ganze Zeit neben ihm geschlafen hatte, über das weiche Fell zu streicheln.
«Anchesen-paaton wird es sein.» Er sah mich böse an.
«Ich kann doch nicht meine eigene Schwester heiraten», widersprach er mir und verschränkte bald darauf trotzig die Arme vor der Brust.
«Ich sagte nicht, dass du sie heiraten wirst. Du hast mir nicht zugehört, Nassib. Ich sagte, sie wird deine Große königliche Gemahlin sein, und das ist etwas ganz anderes.»
«Trotzdem», brummte er mürrisch und sank noch mehr in sich zusammen.
«Hör mir zu: Dein Vater war der Gute Gott. Damit steht fest, dass du als sein Sohn auch sein Erbe bist. Deine Mutter Kija aber war keine Gemahlin deines Vaters, wie es Nofretete gewesen ist. Somit fehlt dir in der mütterlichen Linie die Rechtfertigung für den Thronanspruch. Anchesen-paaton ist die Tochter sowohl Pharaos als auch der Großen königlichen Gemahlin, und nur die Verbindung mit ihr kann dir unanfechtbar den Anspruch auf den Thron der Beiden Länder sichern. Mit Heirat hat das nichts zu tun. Glaube mir das. Sobald du großjährig bist, magst du heiraten, wen du willst.»
Mit tief hängenden Augenbrauen sah er zu mir herüber und sagte: «Ich will gar nicht heiraten!»
Ich lächelte ihn an und antwortete: «Im Moment glaube ich dir das sogar. In deinem Alter dachte ich auch nicht anders. Da waren mir die Pyramidenrennmäuse, die ich gezüchtet hatte, wichtiger als Mädchen. Aber in sechs, sieben Jahren wird das auch bei dir anders aussehen. Da bin ich mir sehr sicher.»
«Nein», war seine abschließende Bemerkung, der auch ich nicht mehr widersprechen wollte.
Jede Reise auf dem Nil hat Abschnitte, die sich stets wiederholen, ganz gleich, in welche Richtung man fährt: Kaum, dass der Abschied vollzogen ist, beschäftig man sich mit dem Schiff, prüft, ob das Gepäck ordentlich verstaut ist, beobachtet die Mannschaft und ihre Handgriffe und versucht herauszubekommen, ob man sich blind auf den Kommandanten verlassen kann oder ob man nicht besser selbst nach Felsen, Flusspferden oder anderen Schiffen Ausschau
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