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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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dabei gab es so gut wie keinen Seegang. »Entschuldige mich«, flüsterte ich meiner Mutter zu, dann rannte ich aus dem Raum.
     
    Oben auf dem Zwischendeck verflog die Übelkeit genauso schnell, wie sie gekommen war. Ich lehnte mich gegen die Reling, den Blick nach oben in den sternklaren Himmel gerichtet, und atmete tief ein. Vielleicht blickte Bertram in Elberfeld gerade ebenfalls zum Himmel und unsere Blicke trafen sich, ohne dass wir davon wussten. Jemand stellte sich neben mich. Ohne mich umzuwenden, wusste ich, dass es Eva war.
    »Was ist denn los mit dir?«, fragte sie.
    »Mir war auf einmal unwohl.«
    »Hast du Angst?«
    Ich atmete die Sternennachtluft ein und wieder aus und schwieg. Es war so still. Man hörte nur die Wellen, wie sie leise schmatzend gegen den Bug schlugen.
    »Auf Löwen und Ottern wirst du gehen und treten auf junge Löwen und Drachen«, hörte ich Pastor Cordes wieder rezitieren. Ich schauderte, obwohl die Nacht warm war.
    »Morgen seid ihr am Ziel. Freudenreich wird euch schon erwarten«, sagte Eva. »Was meinst du, wie gespannt er auf euch ist.« Sie zog ein kleines Paket aus der Tasche, das in braunes Papier eingepackt und sorgfältig verschnürt war. »Hier, das ist für dich. Aber mach es erst in Bethanien auf.«
    »Ein Abschiedsgeschenk? Ich habe aber gar nichts für dich.«
    »Das macht nichts. Bring mir etwas mit, wenn wir uns in Stellenbosch wiedersehen.« Sie legte ihre Hand auf meine Hand.
    Über uns blinzelten sich die Sterne und der Mond zu, als teilten sie ein Geheimnis. Ob die Engel, die über uns wachten, Eva und mich irgendwann wieder zusammenführen würden?
    Auf diese Frage hätte nicht einmal Fräulein Hülshoff eine Antwort gewusst.

 
6
     
    Die Landungsboote brachten uns und unser Gepäck bis kurz vor die Küste. Die letzten Meter trugen uns die Brandungsneger durchs Wasser.
    Fräulein Hülshoff war die Erste, die von einem der Kru aus dem Boot gehoben wurde. Ernst und würdevoll schwebte sie auf seinem Rücken aufs Ufer zu, so selbstverständlich, als würde sie jeden Tag von Negersklaven durch die Gegend getragen. Als Nächster war ein großer, stattlicher Herr aus Bielefeld an der Reihe, der lieber selbst durch das Meer gewatet wäre. Aber unsere Begleiter ließen sich auf keine Diskussion ein, wahrscheinlich verstanden sie auch gar kein Deutsch. »Bittschen, bittschen«, sagten sie immer nur. Also kletterte Herr Augsberg am Ende doch einem Träger auf den Rücken und wurde ans Ufer geschleppt. Es war ein bizarres Bild, weil Herr Augsberg so dick war, der Kru-Mann dagegen dürr wie eine Holzlatte, aber offensichtlich sehr kräftig.
    Der Neger, der meiner Mutter seinen Rücken anbot, trug nur eine zerschlissene blaue Weste über dem nackten Oberkörper. Seine lange weiße Hose war bis zu den Schenkeln durchnässt und klebte an seinen muskulösen Beinen. »Bittschen, bittschen.« Er drehte den Kopf zu ihr und nickte ihr auffordernd zu, ohne dabei zu lächeln. Meine Mutter erhob sich und trippelte nervös von einem Fuß auf den anderen. Unser Boot schwankte. Ich sah zurück zur Gertrud Woermann, wo sich die restlichen Passagiere an Bord versammelt hatten. Pastor Cordes, seine Frau, Eva und ihre Brüder standen an der Reling und schauten zu uns herüber. Sie wirkten besorgt, vielleicht befürchteten sie, dass meine Mutter kopfüber ins Meer springen könnte, um dem Träger zu entgehen. Vielleicht befürchtete der Brandungsneger dasselbe, jedenfalls drehte er sich plötzlich um, packte meine Mutter und trug sie auf seinen Armen zum Land, als wäre er der Bräutigam und sie die Braut. Ich sah, wie sie die Augen fest zusammenkniff, aber zu meiner Erleichterung wehrte sie sich nicht.
    Die Zwillinge applaudierten, als er sie endlich wegtrug. Ob sie sich über uns lustig machten? Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, weil ich nun selbst an der Reihe war.
    Mein Träger war älter als die anderen Neger, sein Kräuselhaar war oben grau und an den Schläfen bereits ganz weiß. Vermutlich war er nicht mehr so kräftig wie seine jüngeren Kameraden und bekam deshalb immer nur die leichtesten Passagiere zugewiesen. Ich kletterte auf seinen vornübergebeugten Rücken und roch seinen scharfen Schweiß, vermischt mit dem Geruch von Tabak.
    Während der Neger mich an Land trug, konnte ich sein Gesicht nicht sehen, ich war mir aber sicher, dass er keine Miene verzog, genau wie seine Kameraden, die die anderen Passagiere gerade an Land absetzten. Es machte keinen Unterschied

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