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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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wächst mir jeden Tag mehr ans Herz, sie ist eine richtige Freundin geworden. Es wird mir schwerfallen, am Hafen von Swakopmund von ihr Abschied zu nehmen.
    Die meisten anderen Passagiere sind ziemlich langweilig, aber es gibt auch ein paar wirklich originelle Personen an Bord. Von einer will ich Dir erzählen. Eva und mir ist sie gleich am ersten Tag unserer Reise aufgefallen, weil sie die einzige alleinreisende Dame auf dem Schiff ist. Wir begegnen ihr ziemlich oft, denn genau wie wir hält sie sich bei Wind und Wetter auf dem Zwischendeck auf. Sie liest die ganze Zeit.
    Sie ist immer in Schwarz gekleidet wie Mutter, aber ihre Kleider sind sehr viel teurer, das sieht man gleich. Wohin sie wohl unterwegs ist und was sie vorhat? Eva und ich spekulieren oft darüber. Vielleicht ist auch sie verwitwet und unterwegs zu ihrem neuen Mann. Oder sie war nur auf Urlaubsreise in Deutschland und fährt nun wieder zurück nach Südwest. Wir können sie natürlich schlecht danach fragen, auch wenn es uns brennend interessiert.
    Aber nun verschone ich Dich mit weiteren Schilderungen dieser Art, weil soeben die Schiffsglocke läutet und mich zum Essen ruft!
     
    Es grüßt Dich in großer Sehnsucht
    Deine Freundin Henrietta
     
    Nachdem die Tinte getrocknet war, steckte ich den Brief in einen Umschlag und adressierte ihn an Bertram.
    In großer Sehnsucht.
    Das war gelogen. Meine Sehnsucht nach Bertram war gar nicht so groß. Und es war auch gar nicht so langweilig an Bord, wie ich es in meinem Brief geschildert hatte. Es machte im Gegenteil großen Spaß, mit Eva auf dem Zwischendeck zu sitzen und sich mit ihr über die anderen Gäste auszutauschen. Darüber zu mutmaßen, woher sie kamen und was sie vorhatten.
    Die Wochen an Bord der Gertrud Woermann waren die beste Zeit meines Lebens. Das erkenne ich jetzt, im Rückblick. Damals hielt ich es jedoch alles nur für den Anfang von etwas noch Besserem. Freudenreich und meine Mutter in der Missionsstation, Bertram und ich in unserem eigenen kleinen Haus am Meer. Unsere Zukunft war eine einzige Verheißung.
    Einige der Reisenden freundeten sich gleich zu Beginn der Fahrt miteinander an, verbrachten die ersten Tage der Überfahrt scherzend, Karten spielend und rauchend, um sich danach zu zerstreiten und kein Wort mehr miteinander zu wechseln.
    »Auf eine oberflächliche Freundschaft folgt meist ein schlimmes Zerwürfnis«, wusste meine Mutter, die sich natürlich nie auf so etwas eingelassen hätte. Es gefiel ihr auch ganz und gar nicht, wie viel Zeit ich mit Eva verbrachte. Die Cordes waren ihr suspekt. Obwohl Herr Cordes Pastor war. Oder gerade deshalb. Seine Gebete und Predigten waren so ganz anders als die von Pastor Krupka. Und die selbstbewusste, forsche Art der Pastorin befremdete sie noch mehr. Dabei bemühte sich Frau Cordes wirklich sehr um meine Mutter. Aber zu meiner Enttäuschung nahm meine Mutter die ausgestreckte Hand nicht an, sondern wies die Freundschaft zurück.
     
    Unter all den Passagieren an Bord der Gertrud Woermann war die alleinreisende Dame der interessanteste. Bei Regen, Sturm und gleißendem Sonnenschein saß sie auf dem Zwischendeck und las. Bei schlechtem Wetter hüllte sie sich in eine graue Wolldecke, ansonsten saß sie unter einem Sonnenschirm, den sie mit einer Hand festhielt, während sie mit der anderen umblätterte.
    Was sie las, ließ sich leider nicht erkennen, weil sie ihre Bücher zum Schutz gegen Wind und Wetter in braunes Papier eingeschlagen hatte.
    »Ich wüsste zu gerne, was es ist«, sagte Eva.
    »Frag sie doch einfach«, schlug ich vor.
    Aber natürlich fehlte Eva dazu genau so der Mut wie mir selbst. Doch dann sprach die Dame uns an.
    »Hallo!«, rief sie eines Vormittags mit einer hellen, durchdringenden Stimme. »Können Sie mir bitte sagen, welche Uhrzeit wir haben?«
    Wir blickten uns beide unwillkürlich um, ob sie mit jemandem sprach, der hinter uns stand, aber da war keiner. Sie meinte uns. Wir hatten nur leider beide keine Uhr.
    »Es müsste kurz nach zehn Uhr sein«, sagte Eva.
    »Ich brauche aber die genaue Zeit«, sagte die Dame missbilligend. »Meine Taschenuhr ist nämlich stehen geblieben.« Kopfschüttelnd klopfte sie gegen das Ziffernblatt, als könnte sie die Zeiger dadurch dazu bewegen, auf die richtige Uhrzeit zu springen.
    »Dahinten ist ein Steward.« Eva sprang auf und rannte zu ihm hinüber. »Zehn Minuten nach zehn«, verkündete sie stolz, als sie wieder zurückkam.
    Die Dame zog ihre Augenbrauen so hoch, dass

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