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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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sie fast unter der Krempe ihres Hutes verschwanden. »Ist das auch sicher?« Als Eva nickte, seufzte sie und stellte ihre Uhr ein. »Ich kann Ungenauigkeiten nicht ausstehen. Wohin sind Sie beide unterwegs?«, erkundigte sie sich dann.
    »Meine Familie und ich fahren ins Kapland. Aber meine Freundin und ihre Mutter steigen schon in Swakopmund aus«, sagte Eva. »Und Sie? Welches Ziel haben Sie?«
    Aber diese Frage schien die Dame gar nicht zu hören. »Wollen Sie sich nicht vorstellen?«, erkundigte sie sich stattdessen.
    Nachdem wir ihr unsere Namen genannt hatten, fragte sie nach unserem Alter, dem Heimatort, nach Eltern, Geschwistern, Anverwandten, sie wollte wissen, wie lange Eva und ich uns schon kannten und warum wir ständig allein und ohne irgendeine Aufsicht auf dem Zwischendeck waren. Die Fragen sprudelten nur so aus ihr heraus. Als habe sie die ganze Zeit, in der wir über sie, ihre Vergangenheit und ihren Lesestoff spekuliert hatten, über uns nachgedacht.
    »Nun wissen Sie alles über uns und wir kennen nicht einmal Ihren Namen«, sagte Eva irgendwann.
    »Hülshoff«, erwiderte die Frau. »Wie die große Dichterin. Annette von Droste-Hülshoff war meine Urgroßtante mütterlicherseits.«
    »Und wohin reisen Sie?«, erkundigte sich Eva schnell, bevor Fräulein Hülshoff die nächste Frage stellen konnte.
    Sie wollte ebenfalls nach Swakopmund, wo sie bei einer deutschen Ingenieursfamilie als Gouvernante arbeiten sollte.
    »Aber wieso ausgerechnet in Deutsch-Südwest?«, fragte ich.
    »Warum nicht?«, gab sie zurück und strich ihren Rock glatt. Sie wollte alles über uns wissen, aber was ihre eigenen Angelegenheiten betraf, war sie überhaupt nicht auskunftsfreudig. Das machte uns natürlich erst recht neugierig.
     
    Am frühen Morgen des 14. Februar hämmerte Eva noch vor dem Frühstück aufgeregt an unsere Kabinentür. »Komm schnell nach oben! Wir haben Liberia erreicht. Gleich gehen die Brandungsneger an Bord!«
    Wir rannten hoch aufs Oberdeck, auf dem sich bereits einige Dutzend Passagiere versammelt hatten und die Hälse reckten, um so viel wie möglich vom afrikanischen Kontinent zu erspähen. Ganz am Rand der Menge stand Fräulein Hülshoff. Sie hatte ihren Sonnenschirm aufgespannt, obwohl sich die Sonne noch kaum über den Horizont erhoben hatte.
    Wir stellten uns neben sie. Glücklicherweise waren weder Evas Eltern noch meine Mutter an Deck gekommen. Denn in puncto Fräulein Hülshoff waren sie ausnahmsweise einmal einer Meinung. Sie mochten sie nicht.
    »Ein reichlich überspanntes Frauenzimmer«, fand Pastor Cordes. Vielleicht ärgerte er sich auch darüber, dass Fräulein Hülshoff so selten zu den Gottesdiensten erschien.
    Meine Mutter fand das ständige Bücherlesen fragwürdig. Die Bibel und das Gesangbuch, das hätte sie akzeptiert, hin und wieder auch einen Gedichtband. Aber Fräulein Hülshoff war ja geradezu versessen auf jegliche Art der Lektüre.
    Eva und ich hatten sie inzwischen besser kennengelernt und waren zutiefst beeindruckt von ihrem nahezu unerschöpflichen Wissen. Ob Politik, Geschichte, Geografie, Musik, ob Medizin, Botanik oder Zoologie – es schien kein Gebiet zu geben, auf dem sich Fräulein Hülshoff nicht auskannte. Und während sie niemals über ihre Gefühle sprach, liebte sie es geradezu, dieses Wissen mit uns zu teilen.
    »Sehen Sie. Da!«
    Fräulein Hülshoffs behandschuhte Hand zeigte zum Ufer. Soeben zog eine Gruppe pechschwarzer Gestalten lange, schmale Boote zum Wasser. Ich hielt den Atem an. Neger, echte Neger! Und nicht nur ein paar, immer mehr Schwarze strömten aus den Hütten zum Wasser, kletterten in die Kanus und ruderten dann übers Meer auf unser Schiff zu.
    Die Gertrud Woermann lag etwa dreißig Meter vor dem Hafen der liberianischen Hauptstadt Monrovia. Wobei die Bezeichnung Hafen genauso übertrieben war wie der Begriff Hauptstadt. Am Ufer zog sich eine grob gemauerte, niedrige Mole entlang, auf dem Sandstreifen davor lagen ein paar Boote, dahinter streckten sich Palmen in den Himmel. Hütten mit Wellblechdächern, klein und geduckt, vor einem grün wuchernden Urwald, das war Monrovia.
    »Das sind die Brandungsneger«, dozierte Fräulein Hülshoff mit halblauter Stimme. »Sie gehören zum zentralafrikanischen Stamm der Kru. Wie die Strömung vor Moravia ist auch die Hafeneinfahrt vor Swakopmund für größere Schiffe nicht passierbar. Aber die Kru-Fischer verstehen sich ganz vorzüglich darauf, die gefährlichen Strudel in kleinen Booten zu

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