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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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für sie, ob sie uns trugen oder unser Gepäck. Wir waren tote, seelenlose Gegenstände für sie.
     
    Ich hatte genau gewusst, was mich erwartete. Fräulein Hülshoff hatte mir erklärt, dass Swakopmund ein verlassenes Wüstennest sei. »Ein paar Hütten im Sand, mehr gibt es da nicht«, hatte sie gesagt. »Machen Sie sich bloß keine Hoffnungen auf exotisches Flair.«
    Aber offensichtlich hatte ich mir trotzdem Hoffnungen gemacht, denn jetzt war ich enttäuscht. Dabei sah es genauso aus, wie sie es beschrieben hatte: Sand, so weit das Auge reichte, aber es reichte nicht sehr weit, denn die Küste lag unter einem dichten Nebel. In den weißen Schwaden konnte man ein paar halb zerfallene Holzhütten mit Wellblechdächern ausmachen. Und einen Fahnenmast, an dem eine deutsche Reichsfahne flatterte, denn es herrschte ein starker Westwind. Heute Morgen an Bord war es furchtbar heiß gewesen, aber hier am Strand war es überraschend kühl.
    Die Brandungsneger hatten das letzte Gepäckstück aus den Landungsbooten ans Ufer gebracht. Ohne ein Wort oder eine Geste des Abschieds machten sie sich nun wieder auf den Rückweg zum Boot. Sie würden auf der Gertrud Woermann bis nach Kapstadt reisen und auf dem Rückweg wieder in Monrovia abgesetzt werden.
    Und nun? Wir sahen uns ratlos um. Aus dem Nebel lösten sich ein paar Gestalten und kamen zu uns herüber. Ob Herr Freudenreich einer von ihnen war?
    Nein, es waren lauter Neger, angeführt von einem dicken Weißen in Seemannsuniform. »Willkommen in Deutsch-Südwestafrika«, rief er uns entgegen, bevor er uns richtig erreicht hatte. »Ich hoffe, Sie hatten eine gute Überfahrt.«
    Gemurmel unter uns Neuankömmlingen.
    »Hafenmeister Haas«, stellte sich der uniformierte Dicke vor. »Na, dann wollen wir mal.« Er nickte dem Neger neben ihm zu, der daraufhin nach einem Koffer griff. Auch die anderen nahmen sich ein Gepäckstück und setzten sich in Bewegung.
    »Wohl denn.« Der Herr aus Bielefeld nickte erleichtert. »Zumindest lässt man uns hier selber laufen.«
    Das Signalhorn der Gertrud Woermann tutete dreimal. Ich blieb stehen und blickte zurück zum Schiff, aber es war nicht mehr zu erkennen. Die Nebelschwaden hatten es verschluckt. Es würde bestimmt noch mehrere Stunden dort draußen liegen bleiben, weil für den letzten Streckenabschnitt neue Vorräte und Trinkwasser an Bord gebracht werden mussten. Und vermutlich standen die Cordes auch jetzt noch an der Reling und blickten zum Land, aber sie konnten uns genauso wenig sehen wie wir sie.
    »Jette«, rief meine Mutter, die wie die anderen schon ein Stück weitergegangen war. »Worauf wartest du denn noch?«
    Das fragte ich mich allerdings auch. Worauf wartete ich hier, an diesem gottverlassenen Strand, in dieser trostlosen Wüste? Warum war ich überhaupt an Land gegangen und nicht mit den Cordes an Bord geblieben? Plötzlich kam es mir so vor, als ob die Cordes meine richtige Familie wären und meine Mutter nur eine Zufallsbekanntschaft.
    »Jette!« Die anderen waren schon nicht mehr zu sehen. Nur meine Mutter wartete noch auf mich.
    »Ich komm ja schon.« Ich gab mir einen Ruck und folgte ihr in den Nebel hinein.

 
7
     
    Die Pension Zum Kaiser Wilhelm lag gleich hinter der Hafenanlage. Die Fassade des Hauses war vor langer Zeit einmal gelb gewesen, aber Sonne, Regen und Salzwasser hatten die Farbe in einen hellen Schimmelton verwandelt. Nur unter den Fensterbrettern leuchteten noch Spuren des ehemaligen Safrangelbs. Die Eingangstür hing schief in den Angeln und quietschte fürchterlich, als wir sie aufzogen. In der Vorhalle war es viel heißer als draußen, es war, als ob wir in das Innere eines Ofens traten.
    Hinter einer Art Pforte stand eine ältere Frau mit krausem Haar wie eine Negerin, aber ihr Gesicht war weiß.
    »Guten Tag.« Fräulein Hülshoff, die mit ihren neuen Herrschaften ebenfalls in der Pension verabredet war, klappte ihren Sonnenschirm zusammen und ging mit schnellen, kleinen Schritten auf die Pförtnerin zu. »Mein Name ist Hülshoff. Ich werde hier erwartet. Familie von Schneck …«
    »Hier ist ein Schreiben für Sie.« Die Frau griff mit der Linken nach einem Briefumschlag, während sie mit der Rechten einen Schlüssel vom Schlüsselbrett angelte.
    »Werde ich denn nicht empfangen?«, fragte Fräulein Hülshoff verwundert. »Ich habe meine Ankunftszeit doch frühzeitig gekabelt.«
    Die Frau hinter der Pforte zuckte mit den Schultern. Ihr Gesicht ähnelte wirklich auf frappierende Weise dem

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