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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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mickrige Topfpflanze, sondern ein riesiger Baum. Den Stamm hätte ich nicht einmal zur Hälfte umfassen können, die Krone aus den gefiederten Blättern war so hoch und breit, dass sie an den Rändern im Nebel verschwand. Den Kopf in den Nacken gelegt, trat ich näher.
    An der Stelle, an der die Blätter aus dem Stamm trieben, hingen tatsächlich Kokosnüsse, ein paar davon noch grün und klein wie Kartoffeln, andere bereits braun und reif. Beim Anblick der Kokosnüsse wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass ich tatsächlich angekommen war. Ich war in Afrika! Plötzlich war mir schwindlig. Wenn Bertram mich hier sehen könnte, wie ich unter einem echten Palmenbaum stand! Ich würde ein kleines Stück Rinde vom Stamm abkratzen, beschloss ich, und mit meinem nächsten Brief an ihn schicken.
    Erst als ich die Palme fast erreicht hatte, bemerkte ich die Bank unter dem Baum und auf der Bank die lesende Dame.
    Fräulein Hülshoff.
    Ob ich sie ansprechen sollte? Ich zögerte einen Moment. Sie schien so in ihre Lektüre vertieft, ich wollte sie nicht stören. Außerdem würde sie mir wahrscheinlich sofort wieder einen Vortrag über die verschiedenen Palmenarten in Afrika halten oder über die Geschichte Swakopmunds oder über irgendein anderes Thema, über das ich jetzt nichts hören wollte. Ich wollte mich diskret zurückziehen, als ich sah, dass ihre Schultern bebten. Sie weinte.
    Ob es der Roman war, der sie rührte? Aber sie hatte ja gar kein Buch vor sich, sondern las einen Brief. Eine schlechte Nachricht aus der Heimat? Vielleicht war ihr Vater gestorben oder ihre Mutter oder ein enger Angehöriger erkrankt.
    »Fräulein Hülshoff.« Ich sprach ihren Namen nur ganz leise aus, dennoch fuhr sie zusammen, als hätte ich sie angeschrien. »Entschuldigung! Ich wollte Sie nicht stören.«
    Sie faltete den Brief hastig zusammen und ließ ihn in ihrer Rocktasche verschwinden. Dann zog sie ein Taschentuch aus dem Ärmel und tupfte sich damit über die Augen.
    »Ist etwas Schlimmes geschehen?«, fragte ich.
    Sie schluckte laut. »Nein. Ich meine, ja. Gewissermaßen.« Sie sah mich aus rot verweinten Augen an, als erwartete sie eine bestimmte Reaktion von mir.
    Ich knetete unbehaglich meine Hände. Sollte ich mich neben sie setzen oder sie allein lassen? Was Eva an meiner Stelle wohl getan hätte?
    »Was … äh … ist denn passiert?«, stammelte ich schließlich.
    »Die Familie, die mich als Gouvernante engagiert hat. Sie tritt von ihrem Angebot zurück.«
    »Sie tritt … was? Das heißt doch …«
    »… dass sie mich nicht beschäftigen werden.«
    »Aber Sie sind doch eigens dafür aus Deutschland angereist! Was wollen Sie denn jetzt hier anfangen, ohne Anstellung und Geld?«
    Fräulein Hülshoff presste ihr Taschentuch gegen die Lippen, schüttelte den Kopf und antwortete nicht.
    »Warum wollen die Leute Sie denn auf einmal nicht mehr?«, fragte ich.
    Fräulein Hülshoff rang nach Atem. »Ach Kind«, stieß sie mühsam hervor, »es ist alles meine Schuld.«
    Es ist alles meine Schuld. Wie war das denn nun zu verstehen? Was hatte Fräulein Hülshoff sich vorzuwerfen? Sie war dieser Familie doch noch gar nicht begegnet. »Was machen Sie denn jetzt?«, fragte ich ratlos. »Fahren Sie wieder zurück nach Deutschland?«
    Das Taschentuch wanderte vom Mund hoch zu den Augen. »Ich habe nicht einmal das Geld für die Passage«, erwiderte sie dumpf. »Und das Zimmer in der Pension ist auch nur für drei Nächte bezahlt.«
    »Das nächste Schiff nach Deutschland fährt erst in zwei Wochen«, murmelte ich.
    Fräulein Hülshoff schluchzte leise in ihr Taschentuch.
    Wenn Pastor Cordes oder seine Frau doch nur hier wären, dachte ich. Sie hätten bestimmt gewusst, was zu tun wäre. Meine Mutter brauchte ich dagegen gar nicht erst zu fragen, sie wäre genauso hilflos wie ich.
    Fräulein Hülshoff tupfte sich mit dem Taschentuch über die Augen, dann steckte sie es zurück in den Ärmel und räusperte sich. »Nun, das alles ist natürlich mitnichten Ihr Problem«, meinte sie. »Es wird sich schon eine Lösung finden.«
    »Vielleicht weiß ja mein zukünftiger Stiefvater einen Rat«, sagte ich. »Ich habe ihn bisher noch nicht kennengelernt, aber er ist Missionar. Ein Missionar wird doch sicher nicht tatenlos zusehen, wie eine unschuldige Frau in Not und Gefahr gerät. Vielleicht kann er Ihnen das Geld für die Rückfahrt leihen …«
    »Ich werde nicht zurückfahren«, unterbrach mich Fräulein Hülshoff. »Ich habe mein Zimmer in

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