Im Land des Regengottes
recht auf mich aufmerksam.
»Was hast du denn?«, fragte meine Mutter irritiert.
»Nichts.« In geduckter Haltung bewegte ich mich aus dem Blickfeld.
Meine Mutter musterte mich misstrauisch, dann schüttelte sie den Kopf. »Pack deine Sachen zusammen und wasch dir die Hände, es gibt gleich Essen. Wir gehen heute zeitig zu Bett, weil wir morgen vor Tagesanbruch losfahren.«
»Wir müssen Fräulein Hülshoff Bescheid geben, dass sie sich ebenfalls fertig macht.«
Meine Mutter antwortete nicht. Nachdem ich den ganzen gestrigen Tag auf sie eingeredet hatte, hatte sie am Abend endlich eingewilligt, Fräulein Hülshoff mit nach Bethanien zu nehmen. »Auch wenn mir nicht wohl bei der Sache ist«, meinte sie. »Aber wenn Herr Freudenreich dagegen ist, kann er sie ja wieder nach Swakopmund zurückschicken.«
»Das wird er bestimmt nicht tun«, sagte ich.
Nachts wurde ich vom Rauschen des Regens wach. Ich stellte mir vor, dass ich in unserem Schlafzimmer in der Kohlstraße läge. Draußen im Garten würde der letzte Schnee weggeschwemmt, darunter kämen Schneeglöckchen und Primeln zum Vorschein. Am Bach wüchsen schon Schlüsselblumen und Buschwindröschen. Ob ich in meinem Leben jemals wieder Schneeglöckchen und Himmelsschlüssel sehen würde?
Das Rauschen wurde stärker. Regen, hier in Afrika? Ich schob die Beine aus dem Bett und ging auf nackten Füßen zum Fenster. Das Rauschen kam von den Blättern der beiden kleinen Palmen im Hof, die der Wind aneinanderrieb.
Als meine Mutter mich weckte, war es noch dunkel. Zusammen mit drei anderen Negern schleppte der Kerl in der weißen Bluse unsere Koffer aus dem Haus und verstaute sie auf dem Ochsenkarren. Danach kämpften sie mit Fräulein Hülshoffs Gepäck. Wahrscheinlich waren ihre beiden Reisetruhen bis oben mit Büchern gefüllt.
»Wie lange brauchen wir nach Bethanien?«, fragte Fräulein Hülshoff den Treiber. Sie sprach sehr laut und deutlich, nach jedem Wort legte sie eine kleine Pause ein. Er verstand aber wohl kein Deutsch, jedenfalls starrte er sie an, als habe sie ihm etwas aus einer italienischen Oper vorgesungen.
Sie versuchte es auf Englisch, aber auch darauf reagierte er nicht. Doch so schnell gab Fräulein Hülshoff nicht auf. »Du heißen?«, fragte sie den Hottentotten.
»Petrus«, erwiderte er kurz, dann wandte er sich seinen Ochsen zu.
Fast vier Wochen würden wir unterwegs sein, das erfuhren wir schließlich von Samuel, der den Treck als Ochsenwächter begleitete und im Gegensatz zu Petrus ein wenig Deutsch sprach.
»Vier Wochen!« Meine Mutter war entsetzt. In seinen Briefen hatte Freudenreich mit keinem Wort erwähnt, dass der Weg zur Station so lang war. Vielleicht hatte er vorausgesetzt, dass uns das klar wäre.
Der Ochsenwagen holperte nun schon seit zwei Stunden über den Baaiweg , wie Samuel den Pfad durch die Wüste nannte. Zwei tiefe Rillen, die die Räder anderer Karren hinterlassen hatten, zogen sich schnurgerade durch eine karge Mondlandschaft. An manchen Stellen löste sich die Spur auf, dann sanken die Beine der achtzehn Ochsen bis zu den Fesseln im Sand ein. Sie wurden deshalb aber nicht langsamer, sondern zogen uns gleichmäßig voran wie Maschinen, bis sie wieder festeren Boden unter den Füßen hatten.
Um uns herum breitete sich das Land aus wie ein großes Bettlaken, das lange nicht mehr gewaschen worden war. Graue Sanddünen, so weit das Auge reichte. Hier und dort lagen Felsbrocken, ansonsten gab es keinen Baum, keinen Strauch, nicht einmal einen Dornbusch. Am Horizont türmten sich Hügel auf, einer höher als der andere, bis sie im Blau des Himmels verschwammen.
Auf dem Bock neben dem Kutscher durfte abwechselnd eine von uns Frauen Platz nehmen, im Moment fuhr meine Mutter mit, Fräulein Hülshoff und ich gingen zu Fuß.
»Eigenartig, dass der Treiber weder Deutsch noch Englisch spricht«, sinnierte Fräulein Hülshoff. »Die Hottentotten sind doch dafür bekannt, dass sie neue Sprachen außergewöhnlich schnell erlernen. Deshalb gibt es ja auch so viele Orlams unter ihnen.«
Orlams, das hatte sie mir bereits vor ein paar Tagen erklärt, wurden die Hottentotten genannt, die lange im Dienst der Weißen gestanden hatten.
»In einigen Gegenden sind die Nama schon so lange domestiziert, dass bereits eine Vermischung der Rassen stattgefunden hat«, plauderte sie weiter. »Unsere Pensionswirtin aus Swakopmund ist das beste Beispiel dafür. Sie ist ein Baster, 6 vermutlich aus der Gegend von Rebohoth. Es ist ja
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