Im Land des Regengottes
nun nichts Ungewöhnliches, dass sich die Rassen innerhalb einer Kolonie miteinander paaren …«
»Nun ist es aber gut.« Meine Mutter beugte sich so weit über den Kutschbock, dass sie fast herunterfiel. »Ich möchte Sie doch bitten, sich zu mäßigen. Jette ist ja noch ein Kind.«
Ich spürte, wie mein Gesicht heiß und rot wurde vor Wut. Jette ist ja noch ein Kind. Ich war fast siebzehn und verlobt, auch wenn meine Mutter davon nichts wusste. Wie lange wollte sie mich denn noch wie eine Sechsjährige behandeln? Auch Fräulein Hülshoff blasses Gesicht verfärbte sich rosa, sie biss sich betreten auf die Lippen.
Ich ging schneller. Wie sehr ich mich in solchen Momenten nach meinem Vater sehnte. Er hatte immer alle meine Fragen beantwortet, obwohl meine Mutter auch damals protestiert hatte, dass bestimmte Themen nichts für ein junges Mädchen seien. Aber warum denn nicht?, hatte mein Vater gefragt. Es geht doch um ganz natürliche Zusammenhänge, die Gott geschaffen hat wie die Menschen und Tiere auch.
Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel und tauchte die Kraterlandschaft in ein gleißendes, hartes Licht. Wie sehr sehnte ich mich bereits jetzt nach dem wolkenbedeckten Himmel in Swakopmund. Und nach dem Wind! Hier draußen in der Wüste regte sich kein Lüftchen.
Fräulein Hülshoff spannte ihren Sonnenschirm auf und meine Mutter und ich holten die Strohhüte aus dem Gepäck, die wir in Swakopmund auf Anraten der Pensionswirtin erstanden hatten.
Die Landschaft veränderte sich. Wir wanderten durch ein Aquarellbild, aus dem die Farben herausgewaschen worden waren: Auf dem hellen Gelbbraun der Erde schimmerten silberne Grasbüschel, in der Ferne erhoben sich hellrote Felsen, darüber spannte sich der riesige hellblaue Himmel. Fräulein Hülshoff machte mich auf eine Gruppe Springböcke aufmerksam, die über die Steppe galoppierte, die grazilen Tiere sahen aus, als wären sie mit Kreide in die Landschaft gezeichnet worden.
Als wir ein Wasserloch erreichten, hob Petrus seine Schwippe und gab den Befehl zur Rast. Wir atmeten erleichtert auf. Unsere Begleiter spannten die Ochsen aus, der Kutscher holte das Kochgeschirr vom Wagen und machte Feuer.
Währenddessen tranken die Ochsen, danach wanderten sie grasend in alle Himmelsrichtungen davon.
Das Wasser des Teichs, das die Burschen für den Kaffee schöpften, war braun vor Lehm. »Wir werden krank werden, wenn wir davon trinken«, murmelte Fräulein Hülshoff, als die Neger jedem von uns einen dampfenden Emaillebecher reichten. Aber dann nahm sie doch einen vorsichtigen Schluck. »Schmeckt gut«, murmelte sie.
Es stimmte, stellte ich fest, der Kaffee war wirklich gut. Stark und würzig und sehr süß. Dazu gab es getrocknetes Fleisch und Fladenbrot.
»Wenn es nur nicht so heiß wäre, wäre alles erträglicher«, seufzte meine Mutter.
Wir saßen ein Stück abseits von den Negern im Schatten des Planwagens. Von meinem Platz aus konnte ich Petrus’ Profil sehen, der gleichmütig geradeaus starrte, die Lider leicht über die Augen gesenkt, als wäre er kurz davor, einzuschlafen. Seine Gesichtszüge waren bemerkenswert, die Wangenknochen sehr prominent, die Augen schmal und leicht schräg stehend, die Nase recht schmal für einen Neger. Wenn seine Haut nicht so dunkel gewesen wäre, hätte er wie ein Indianer ausgesehen. Oder jedenfalls so, wie ich mir einen Indianer vorstellte, ich hatte ja noch nie einen zu Gesicht bekommen.
Er rauchte Pfeife, während seine Kameraden Kaffee tranken und schwatzten. Nur Samuel saß nicht bei ihnen. Petrus hatte ihm die Schwippe überreicht, daraufhin war er den Ochsen gefolgt. Offensichtlich war es seine Aufgabe, die Tiere während der Rast zu hüten und hinterher wieder zusammenzutreiben.
Das seltsame Kauderwelsch der Hottentotten war durchzogen von Schnalz-, Klick- und Schmatzlauten. Ich fragte mich, wie es einem möglich sein sollte, in diesem Klanggewirr einzelne Worte auszumachen.
»Ob es sehr schwer ist, die Hottentottensprache zu erlernen?«, überlegte ich laut.
»Wie kommst du darauf?«, fragte meine Mutter.
»Ich würde sie gerne verstehen. Ob Herr Freudenreich sie mir beibringt?«
»Der Gründer von Bethanien, Missionar Schmelen, hat das Neue Testament in die Nama-Sprache übersetzt«, mischte sich jetzt Fräulein Hülshoff wieder ein. »Ich würde zu gerne einmal eines der übersetzten Exemplare sehen. Ich frage mich nämlich …«
»Es ist sicherlich wichtiger, dass die Eingeborenen unsere
Weitere Kostenlose Bücher