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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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Weiber, ihre Kinder spielten im Staub. Sie starrten uns voller Neugierde an, so als wären wir die Wilden und sie die Besucher. Fräulein Hülshoff erwiderte ihre Blicke mit dem gleichen unverhohlenen Interesse, während meine Mutter verschämt den Blick von den nackten Brüsten abwandte.
    »Haben Sie gesehen, dass sämtliche Eingeborenenfrauen Halsketten tragen?«, fragte Fräulein Hülshoff mich hinterher. »Ein Negerweib würde niemals seinen bloßen Hals zeigen. Genauso wenig, wie eine Europäerin mit unbekleidetem Oberkörper spazieren geht.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte ich sie beeindruckt.
    »Ich halte Augen und Ohren offen«, erklärte sie. »Und ich liebe es, Neues zu lernen. Ich kann gar nicht genug davon kriegen.«
    Ich sehe heute noch vor mir, wie ihre Augen glänzten, als sie das sagte.
    Deutsch-Südwest war menschenleer, aber Tiere gab es hier in Hülle und Fülle. Wir begegneten riesigen Herden von Springböcken, Kudus und schwarz-weißen Gemsen. Wir sahen Strauße, Zebras, Antilopen und Paviane, die in einem Kreis im Gras saßen, als hielten sie eine Familienversammlung ab. Unsere Begleiter hoben nicht einmal die Köpfe, wenn die Tiere in der Ebene auftauchten, aber Fräulein Hülshoff und ich gerieten jedes Mal außer uns.
    Manchmal flogen Schwalben über uns. Ich stellte mir vor, dass sie aus Deutschland kamen und hier in Afrika überwinterten. In wenigen Wochen würden sie wieder in den Norden zurückfliegen. Wir würden hierbleiben. Der Gedanke machte mich zugleich wehmütig und stolz.

 
9
     
    Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, wie ich mir Bethanien ursprünglich vorgestellt habe. Vielleicht als ein richtiges Dorf aus kleinen Steinhäusern. Seit ich das wirkliche, das echte Bethanien kenne, wurden alle vorherigen Bilder und Vorstellungen aus meinem Gedächtnis gewischt wie Kreide von einer Tafel.
    Als unser Ochsengespann auf dem Platz vor der Missionskirche einfuhr, staubte der Sand so, dass wir unsere Augen schließen mussten. Dann sahen wir, was es zu sehen gab: Bethanien war eine Ansammlung von Baracken. Eine Handvoll zerfallener Rundhütten, die sich um die kleine, weiße Missionskirche und das Steinhaus des Missionars drängten wie abgemagerte Rinder um ein Wasserloch. Daneben der Friedhof, den man mit einem hohen Eisengitter umgeben hatte, damit die Springböcke nicht die Disteln und das Unkraut von den Gräbern fraßen.
    Vor dem Missionshaus stand etwa ein Dutzend Menschen und starrte uns an. Es waren lauter Schwarze, bis auf einen weißen Mann. Natürlich hätte mir sofort klar sein müssen, dass das der Missionar war, Nathaniel Freudenreich, der zukünftige Mann meiner Mutter. Mein neuer Vater.
    Aber genauso wenig, wie das echte Bethanien dem Bethanien meiner Vorstellung entsprach, passte der wirkliche Missionar Freudenreich zu dem Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte. Der wirkliche Missionar, der jetzt auf den Ochsenwagen zukam, war ein Stück kleiner als meine Mutter, die auch nicht übermäßig groß war. Er war sehr dünn, sodass sein schwarzer Anzug seinen Körper regelrecht umschlotterte. Und er war alt. Sein Gesicht war so faltig wie das von Trudes Großvater, den man immer auf seinem Schaukelstuhl am Ofen festband, damit er nicht aufstand und davonlief. Ein langer, weißer Flaumbart wucherte aus Freudenreichs Kinn und fiel auf seine Brust. Auf seinem Kopf hatte er dagegen kaum noch Haare, das erkannte man jetzt, da er den Hut abnahm.
    »Guten Abend. Witwe Hauck, nehme ich an?«
    Er streckte meiner Mutter seinen dünnen Arm entgegen. Sie zögerte. Vielleicht war sie genauso enttäuscht wie ich. Vielleicht hatte sie auch einfach Bedenken, den Arm zu nehmen. Herr Freudenreich wirkte zu schwach, als dass man sich auf ihn stützen wollte.
    »Hatten Sie eine angenehme Reise?«, fragte Freudenreich, als wir alle vom Wagen gestiegen waren.
    »Danke«, sagte meine Mutter. »Wir können wirklich nicht klagen.« Dabei hatten wir die letzten Wochen in gleißender Gluthitze auf einem Ochsenkarren und die Nächte auf dem harten Wüstenboden verbracht. »Das hier …«, fuhr sie fort, »… ist meine Tochter Jette.«
    »Henrietta«, korrigierte ich sie schnell.
    Herr Freudenreich reichte mir die Hand. »Guten Tag, Jette.«
    »Und das ist Fräulein Hülshoff, die wir aus Swakopmund mitgebracht haben, weil sie sich dort in einer … misslichen Lage befunden hat«, erklärte meine Mutter.
    Fräulein Hülshoff reichte Herrn Freudenreich ebenfalls die Hand. »Die Familie, die

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