Im Land des Regengottes
Sprache erlernen, als dass wir uns auf ihr Niveau herablassen«, unterbrach meine Mutter sie.
Wie kalt und unfreundlich ihr Ton war, wenn sie mit Fräulein Hülshoff sprach! Auch wenn es ihr leidtat, dass sie sich darauf eingelassen hatte, Fräulein Hülshoff mit nach Bethanien zu nehmen, so war das noch lange kein Grund, sie dermaßen grob zu behandeln!
Wir hatten erwartet, dass wir nach einer kurzen Rast wieder aufbrechen würden, aber wir lagerten bestimmt drei Stunden lang an dem Wasserloch.
»Warum vertrödeln wir bloß so viel Zeit?«, fragte meine Mutter beunruhigt.
»Die Ochsen müssen ausruhen«, sagte Fräulein Hülshoff.
Meine Mutter starrte in ihre leere Kaffeetasse, als hätte sie nichts gesagt.
»Morgens fruh wir trecken«, erklärte Samuel uns, nachdem er die Ochsen zurückgetrieben hatte und sie wieder eingespannt worden waren. »Dann rasten, dann trecken bis Sonne weg. Nachts geht weiter.«
»Hab ich das richtig verstanden?«, fragte meine Mutter, als er uns den Rücken zugedreht hatte. »Wir sollen auch in der Nacht weiterziehen?«
»Dann ist es zumindest kühler«, kommentierte Fräulein Hülshoff mit lauter Stimme vom Bock aus. Sie konnte es einfach nicht lassen, sich einzumischen.
Nach dem Abendessen wanderten wir tatsächlich noch ein paar Stunden durch die Dunkelheit. Obwohl über uns die Sterne funkelten, war es so finster, dass Frau Hülshoff und ich uns am Wagen festhielten, um nicht vom Weg abzukommen. Ich hatte meiner Mutter den Platz auf dem Bock überlassen, weil sie vollkommen erschöpft war, auch wenn sie das vor Fräulein Hülshoff niemals zugegeben hätte.
Die Nachtruhe selbst war nur wenige Stunden lang, wir würden ja vor Sonnenaufgang schon wieder aufbrechen. Für uns drei Frauen stellten die Burschen am Wegrand Pritschen auf, sie selbst rollten sich am Feuer auf der bloßen Erde zusammen.
Fräulein Hülshoff fiel sofort in einen tiefen Schlaf, auch meine Mutter begann nach wenigen Minuten ruhig und gleichmäßig zu atmen. Nur ich wälzte mich von der einen Seite auf die andere, aber jedes Mal, wenn ich fast eingedämmert war, wachte ich mit einem Ruck wieder auf. Irgendwann setzte ich mich auf und starrte in die Dunkelheit der Wüste. Das Feuer war zu einer rötlichen Glut zusammengefallen. Die Ochsen standen locker im Geschirr. Ich hörte, wie sie schmatzend wiederkäuten.
Ich schlang meine Arme um meine Knie. Wie kühl es auf einmal war. Kaum zu glauben, dass wir mittags so unter der Hitze gelitten hatten. Dann hörte ich ganz in der Nähe ein Krächzen. Ich wandte mich um und fuhr zusammen. Oben auf dem Kutschbock hockte ein riesiger Vogel. Den Rücken gebeugt, den Kopf zwischen die Schultern geduckt, starrte er mich aus einem einzelnen gierigen Auge an.
Ich biss mir auf die Finger, um nicht vor Entsetzen zu schreien. Was war das für ein schreckliches Untier? Ich hatte noch nie etwas von einem so gigantischen Raubvogel gehört, aber es gab so viele Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Keiner der Männer hatte den Vogel bemerkt, auch meine Mutter und Fräulein Hülshoff ahnten nicht, in welcher Gefahr sie schwebten. Meine Finger tasteten nach Evas Schutzengel, der an dem Band um meinen Hals hing.
Da bewegte sich die Gestalt auf dem Bock. Es war gar kein Vogel, es war Petrus, der sich zum Schutz gegen die Kälte in eine Decke gehüllt hatte! Und was ich für ein glühendes Auge gehalten hatte, war die Glut seiner Pfeife. Nun drehte er den Kopf und blickte zu mir herüber. Ich wollte mich rasch hinlegen, aber er hatte mich schon entdeckt. Also blieb ich sitzen und sah ihm dabei zu, wie er rauchte.
Später klopfte er seine Pfeife am Kutschbock aus, die Funken stoben wie Glühwürmchen zu Boden. Ich wartete darauf, dass er vom Wagen stieg, um sich ebenfalls hinzulegen, aber er rührte sich nicht. Er würde Wache halten, während wir ruhten …
Also legte ich mich hin und diesmal schlief ich sofort ein.
Das war der Rhythmus unserer Reise. Wir wanderten am frühen Morgen und in den Abendstunden, in der schlimmsten Mittagshitze rasteten wir. Nach dem Abendessen ging es dann noch einmal ein bis zwei Stunden auf die Pad, wie die Burschen den Fahrweg nannten.
Die meiste Zeit saß meine Mutter oben auf dem Bock, während ich mit Fräulein Hülshoff neben dem Wagen herging. Auf der ganzen Reise begegneten wir keinem einzigen Weißen, auch Neger trafen wir so gut wie keine. Nur einmal passierten wir einen Kraal 7 . Vor den runden Strohhütten hockten halb nackte
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