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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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worden waren. So wie sie auch vergessen hatten, dass sie Christen waren. Seit ich bei den Nama lebte, war jedenfalls noch keine von ihnen im Gottesdienst gewesen.
    Ich hätte mir aber eher die Zunge abgebissen, als Petrus zu verraten, dass seine Schwestern keinerlei Anstalten gemacht hatten, sich um mich zu kümmern. Wenn ich mich über sie beklagt hätte, dann hätte Petrus sie zur Rede gestellt und zurechtgewiesen und hinterher wären sie noch schlechter auf mich zu sprechen gewesen.
    »Ich bin froh, dass sie nett zu dir sind«, meinte Petrus. »Es ist nicht leicht für die Leute. Du verstehst kein Nama, sie sprechen kein Deutsch. Wie soll man sich da kennenlernen?«
    Das Kennenlernen. Das war das Problem. Nach zwei Wochen war mir Petrus’ Stamm immer noch genauso fremd wie am Anfang. Inzwischen verstand ich zwar das eine oder andere Wort. Ich kannte zum Beispiel die Begriffe für Wasser, Sonne oder Frau. Ich wusste, dass die Nama mich Deutji nannten, die Deutsche. Aber wenn ich auf Nama wiederholte, dann starrten mich alle verständnislos an, als erkannten sie ihre eigene Sprache nicht wieder.
    »Aber wie soll ich Nama lernen, wenn mir keiner etwas beibringt?«
    In Bethanien hätte ich die Chance gehabt, die Hottentottensprache zu lernen. Wie leid es mir inzwischen tat, dass ich damals nicht an Freudenreichs Lektionen teilgenommen hatte. Alles wäre so viel einfacher für mich, wenn ich wenigstens ein paar Brocken Nama beherrscht hätte.
    »Du musst Geduld haben«, sagte Petrus und lächelte, weil er wusste, dass das nun wirklich nicht meine Stärke war. Dann zog er zwei zerfledderte Bücher aus der Tasche. »Ich habe die Bücher im Schuppen neben dem Ziegenstall gefunden«, erklärte er. »Vielleicht kannst du dir damit die Zeit vertreiben.«
    Ein Gesangbuch und eine Bibel. Beide Bücher waren von Stockflecken überzogen und rochen modrig.
    »Danke«, sagte ich.
    »Es ist nichts Besonderes.« Die Heilige Schrift, nichts Besonderes. Gut, dass Freudenreich das nicht hörte.
    Petrus stand auf und reichte mir die Hand. »Ich muss gehen.«
    »Auf Wiedersehen, Petrus«, sagte ich. Wann kommst du wieder, hätte ich ihn gerne gefragt. Aber das hörte sich ja an, als ob … Also fragte ich ihn lieber nicht.
     
    Als wir zurück ins Dorf kamen, hockten sie wie immer alle vor den Hütten. Eine Alte mahlte mit einem Stein Körner in einer Schüssel, die anderen sahen ihr dabei zu. Sie taten, als bemerkten sie uns nicht, aber ich war mir sicher, dass sie aus dem Augenwinkel jeder unserer Bewegungen folgten. Als wir an ihnen vorübergingen, machte Petrus’ Mutter eine laute Bemerkung, woraufhin die anderen Frauen in Gelächter ausbrachen. Hilfe suchend sah ich Petrus an. Seine Wangenknochen malmten aufeinander wie der Stein in der Schüssel der Alten.
    Was hatte seine Mutter gesagt? Ich hätte es zu gerne gewusst. Aber auch diese Frage stellte ich ihm nicht.
     
    Petrus’ Mutter.
    Sie war eine kleine Frau mit weichen Brüsten, die auf ihren vorstehenden Bauch fielen. Ihre Augen waren schmal wie die von Petrus und standen weit auseinander, so als habe sich die breite Nase zwischen sie gedrängt. Sie war keine schöne Frau, aber sehr energisch und bestimmend, das erkannte ich, obwohl ich ihre Befehle und Anweisungen nicht verstand.
    Unter den Frauen hatte sie eine Vorrangsstellung. Vielleicht verdankte sie die Petrus. Immerhin war er der Einzige aus dem Dorf, der einer Beschäftigung bei den Deutschen nachging. Der ganze Stamm profitierte von seiner Anstellung, von den Gegenständen und Lebensmitteln, die er aus Bethanien mitbrachte und unter den Eingeborenen verteilte. Ein Stück Wurst, eine Handvoll Hühnereier, einen Wassereimer aus Zink, ein Sieb. Dinge, die es ohne ihn nicht gegeben hätte.
    Petrus’ Mutter mochte mich nicht, auch wenn sie sich bemühte, sich ihre Abneigung nicht anmerken zu lassen. Ich merkte es an der Art, wie sie mich betrachtete, wenn sie sich unbeobachtet glaubte. Manchmal fühlte ich ihre Blicke wie Messerstiche in meinem Rücken.
    Natürlich mochte sie mich nicht. Sie war nicht dumm, sie sah, wie Petrus mich ansah und wie mein Gesicht aufleuchtete, wenn er ins Dorf kam. Sie wusste besser über unsere Gefühle Bescheid als wir selbst. Sie wusste, dass unsere Liebe keine Chance hatte. Dass wir uns gegenseitig das Herz brechen würden.
     
    Nach Petrus’ Besuchen war ich immer voller Tatkraft, wie eine Uhr, die neu aufgezogen worden ist. Voller Zuversicht blickte ich nach vorn. Ich musste es

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