Im Land des Regengottes
schrillen Stimme einen Befehl. Es klang wie ein Kampfruf und einen Moment lang hatte ich schreckliche Angst, dass sich die Frauen mit lautem Gebrüll auf mich stürzen könnten. Doch es war kein Befehl zum Angriff, sondern zum Rückzug.
Die Kinder zögerten einen Moment lang. Aber offensichtlich war ihre Furcht vor Petrus’ Mutter stärker als ihre Wissbegier. Einer nach dem anderen erhob sich. Mbeurora, Kambala, Xolani, all die Jungen und Mädchen, deren Namen ich so mühevoll erlernt und aufgeschrieben hatte, ließen ihre Holzstäbchen fallen und schlichen zurück zu ihren Müttern. Nach ein paar Minuten saßen nur noch zwei Finger lutschende Kleinkinder vor mir und musterten mich mit glänzenden Augen. Dann krabbelten auch sie weg.
Die Schule war aus.
15
»Sie haben Angst, dass du ihre Kinder verzauberst«, erklärte mir Petrus, als ich ihm bei seinem nächsten Besuch von meinem gescheiterten Unterrichtsversuch erzählte.
»So ein Unsinn. Ich will ihnen Lesen und Schreiben und Rechnen beibringen. Und Deutsch. Kannst du denn den Müttern nicht sagen, wie wichtig das für ihre Kinder ist? Und dass sie mir vertrauen können?«
»Ich habe es versucht. Aber sie glauben mir nicht. Die Frauen hier wollen nicht, dass ihre Kinder lesen, schreiben und rechnen. Sie schicken ihre Kinder auch nicht in die Schule nach Bethanien. Sie sagen, dass ihre Kinder dort nur das Saufen lernen.«
»Das stimmt ja nicht!«, rief ich aufgebracht. »In Bethanien ist Alkohol doch strengstens verboten.«
»Du musst sie verstehen. Früher gab es hier keinen Schnaps. Genauso wenig wie Zäune und Mauern, jeder konnte hingehen, wohin er wollte. Die Deutji haben den Branntwein ins Land gebracht. Am Anfang waren sie sehr freundlich und schenkten den Schnaps einfach her. Wir dummen Hottentotten konnten gar nicht genug davon kriegen. Doch plötzlich sagten die Deutji: Schluss! Ab sofort wird bezahlt. Und weil wir den Schnaps inzwischen brauchten wie Wasser und Brot, gaben wir ihnen unser Land dafür. Und die Deutschen zogen Zäune um Flüsse und Wasserlöcher und Quellen. Wenn wir danach mit unserem Vieh ankamen, stand da ein Deutscher mit einem Gewehr und sagte: Haut ab, das ist unser Land. Der Branntwein war das Ende unserer Freiheit.«
Ich nickte. Was Petrus mir erzählte, hatte auch Pastor Cordes in einer seiner Predigten auf der Gertrud Woermann angeprangert. Dass die Deutschen den Hottentotten das Land widerrechtlich abgeschwatzt hätten.
»Aber es sind doch nicht alle Deutschen so. Herr Freudenreich zum Beispiel – auch wenn ich ihn nicht ausstehen kann, so ist er doch gewiss nicht darauf aus, euch euer Land abzuluchsen«, wandte ich ein. »Und ich selbst noch viel weniger. Ich bin auf eurer Seite, kannst du ihnen das nicht klarmachen?«
Er lächelte nur traurig und schüttelte den Kopf.
»Immerhin scheint es keinen von deinen Leuten zu stören, dass du auf der Missionsstation arbeitest«, stellte ich fest.
Petrus zuckte mit den Schultern. »Als Treiber verdiene ich viel Geld, das ist gut. Aber die Leute wissen, dass du von der Missionsstation weggelaufen bist. Jetzt haben sie Angst, dass Freudenreich auch mich wegschickt, wenn er erfährt, dass ich dir geholfen habe.«
»Er wird aber nichts davon erfahren«, sagte ich.
Ich suchte seinen Blick und fand ihn nicht. Er blickte in den Himmel, an dem die Sonne flackerte, weiß wie das Äußere einer Kerzenflamme. Vielleicht hatte er meine Worte nicht gehört. Vielleicht wollte er auch einfach meine Hoffnung nicht zerstören.
Im grellen Sonnenlicht schimmerte seine dunkle Haut weich wie Samt. Ich musste alle meine Willenskraft bemühen, um ihn nicht zu berühren.
Heute erscheint mir diese Zeit bei den Nama wie ein Traum. Fremder und unbegreiflicher als alles, was ich vorher und danach erlebt habe. Hatte ich wirklich gehofft, dass sie mich als eine der Ihren annehmen würden, dass ich den Rest meines Lebens bei ihnen verbringen könnte? Ich wusste nichts von ihnen, ich hatte keine Ahnung, was sie dachten, fühlten, wünschten. Vielleicht war es gerade ihre Ablehnung, die mich so begierig machte, von ihnen akzeptiert und geliebt zu werden.
Im Rückblick kommt es mir wirklich lächerlich vor, wie ich um die Freundschaft und Aufmerksamkeit der Eingeborenen buhlte. Ich hatte keine Chance. In der Welt der Nama hätte ich mich niemals zurechtgefunden. Ich wäre immer eine Bittstellerin geblieben, die sich nicht verständigen konnte, die mühsam stammelnd nach Worten suchte und
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