Im Land des Regengottes
schaffen, die Nama für mich zu gewinnen. Wenn sie mich erst einmal in ihr Herz geschlossen hätten, dann wäre es ein Leichtes für mich, ihre Sprache zu erlernen. Aber wie konnte ich die Nama davon überzeugen, ihr Misstrauen gegen mich aufzugeben?
Quid pro quo , hatte mein Vater früher immer gesagt. Dieses für jenes. Das ist der Grundsatz, der alles bestimmt und jede Gesellschaft bewegt. Wenn du etwas willst, musst du dem anderen etwas dafür geben.
Was konnte ich den Nama geben, das sie brauchen konnten?
Die Bibel, die Petrus mir aus Bethanien mitgebracht hatte, brachte mich auf eine Idee. Ich würde mich nützlich machen, indem ich den Nama aus der Bibel vorlas. Auf diese Weise lernten sie Deutsch und erfuhren gleichzeitig auch etwas über das Christentum.
Deutsch war die Sprache der Zukunft in Südwest, wer Deutsch sprach, fand Arbeit bei den Weißen und verdiente gutes Geld wie Petrus. Diesen Vorteil würden die Nama verstehen und wenn sie ihn nicht verstünden, könnte Petrus ihn ihnen erklären. Und im Gegenzug würden die Nama mich ihre Sprache lehren und endlich als eine der Ihren akzeptieren. Quid pro quo, das war die Lösung all meiner Probleme.
Bei den Kindern würde ich anfangen, beschloss ich. Kinder lernten eine fremde Sprache am schnellsten und außerdem begegneten sie mir mit weit weniger Misstrauen als die Erwachsenen.
»Kommt doch mal her«, sagte ich zu zwei nackten, dickbäuchigen Jungen, die mit selbst gebasteltem Pfeil und Bogen auf Grasbüschel zielten. Sie starrten mich an, ängstlich und neugierig zugleich. Ich lockte sie in den Schatten vor den Hütten, wo ich jedem von ihnen eine getrocknete Feige gab, die mir Petrus aus Bethanien mitgebracht hatte. Noch während sie kauten, rannten die übrigen Kinder herbei und streckten ihre Hände aus. Ich verteilte auch die restlichen Feigen. Dann begann der Unterricht.
»Henrietta«, sagte ich und zeigte auf mich selbst. Danach wanderte meine Fingerspitze zur Brust des einen Jungen. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, aber nach einer Weile sagte er mir doch seinen Namen oder etwas anderes, das fürs Erste als sein Name herhalten musste. Auch der zweite Junge nannte seinen Namen, genau wie die übrigen Kinder.
An unserem ersten Schultag brachte ich ihnen außerdem noch die Worte »Guten Tag« bei und wie man sich dabei die Hand schüttelte. Das taten sie dann auch mit großer Begeisterung und unter lautem Gekicher.
Am zweiten Tag lernten wir ein Lied. Ich sang ihnen Da draußen bei den Heiden vor und dann sangen sie es mir nach, Zeile für Zeile, Strophe für Strophe. Es war wirklich erstaunlich, wie gut sie die Worte und die Melodie behielten, wenn man bedachte, dass sie kein Wort verstanden.
Da draußen bei den Heiden scheint die Sonne so heiß,
da lebt manches Kindlein, das vom Heiland nichts weiß.
Kann nicht beten, wenn morgens vom Schlaf es erwacht,
weiß nicht, dass ein Englein sein Bettlein bewacht.
Inzwischen saßen fast zwanzig Kinder im Alter von eins bis vierzehn um mich herum, die Jüngsten lutschten an den Fingern, die Älteren tuschelten und schwatzten miteinander, aber wenn ich in die Hände klatschte und sie streng ansah, verstummten sie sofort. Mein Unterricht dauerte nicht länger als eine Stunde, ich wollte die Kinder ja nicht abschrecken. Ich wollte sie lehren, bilden und für mich begeistern.
Für den dritten Schultag sammelte ich unten am Fluss eine Handvoll Holzstängel. Auf ein Blatt Papier, das Petrus mir mitgebracht hatte, wollte ich einen Kreis zeichnen, den dann jedes Kind im Sand nachmalen sollte. Ein O. Der erste Buchstabe, den meine Schüler lernen würden.
Ich hatte die Stängel gerade unter meinen Schülern verteilt, als eine der Frauen sich in unseren Kreis drängte und sich neben einen der Jungen kauerte. Ich lächelte sie freundlich an, während ich gleichzeitig innerlich jubelte. Mein Plan ging auf, nach den Kindern kamen nun auch die Mütter, um von mir zu lernen.
Aber die Frau hatte nicht vor, an meinem Unterricht teilzunehmen. Sie redete wütend auf den Jungen ein, der ihr mit gesenktem Kopf zuhörte. Die anderen Kinder lauschten mit offenen Mündern. Schließlich packte die Frau den Jungen am Arm und zerrte ihn aus dem Kreis, zurück zu den anderen Frauen.
»Was ist denn los?«, rief ich aufgeregt. »Warum darf er nicht mehr mitmachen?«
Aber natürlich bekam ich keine Antwort. Man verstand mich ja nicht. Stattdessen trat Petrus’ Mutter nach vorne und rief mit einer lauten, leicht
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