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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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Namaland, am 7. Juli 1900
     
    Lieber Bertram,
     
    Du hast Dich bestimmt gewundert, wahrscheinlich auch gesorgt, dass ich Dir so lange nicht mehr geschrieben habe. Aber wenn Du hörst, was mir in der Zwischenzeit widerfahren ist, dann wirst Du verstehen, warum ich so lange nicht zum Schreiben gekommen bin.
    Ich wohne nämlich nicht mehr in der Missionsstation, sondern bei einem Eingeborenenstamm am Konkiep, das ist ein kleiner Fluss in der Nähe von Bethanien. Nach dem Tod meiner Mutter wurden die Dinge auf der Station für mich unerträglich. Deshalb habe ich versucht, nach Warmbad zu fliehen, wo Fräulein Hülshoff inzwischen lebt (sie hat sich verheiratet). Diesen Plan hatte ich schon lange, aber ich habe Dir nichts davon geschrieben, damit Du meinetwegen keine schlaflosen Nächte hast. Im Gegensatz zu mir wäre Dir wahrscheinlich von vornherein klar gewesen, dass die Idee zum Scheitern verurteilt war. Ein Mädchen, allein unterwegs in Afrika. Es musste schiefgehen und es ging schief.
    Weil ich aber um keinen Preis der Welt wieder zurück auf die Missionsstation gegangen wäre (eher würde ich mich umbringen, als die nächsten Jahre mit meinem schrecklichen Stiefvater und unter Susannas Fuchtel zu verbringen!) hat Petrus, der Ochsentreiber, mich hierher zu seinen Leuten gebracht. Nun hause ich zusammen mit Petrus’ vier Schwestern in einer runden Hütte aus Binsenmatten. Bei seinem letzten Besuch hat Petrus mir Papier und einen Bleistift mitgebracht, so kann ich Dir nun endlich schreiben.
    Oh, Bertram, ich möchte Dir wirklich gerne schildern, wie mein Leben hier aussieht, aber es ist so schwierig, dass ich nun schon geraume Zeit an meinem Bleistift nage und keine Worte finde. Die Welt der Eingeborenen ist so gänzlich anders als die unsere! Ihr Wesen, ihre Lebensart, auch ihre Sprache, von der ich immer noch kaum ein Wort verstehe. Wenn ich Dir alles beschreiben wollte, bräuchte ich Stunden, wenn nicht sogar Tage.
    Der Nama-Stamm, der mich aufgenommen hat, nennt sich selbst Awa-khoi, das bedeutet » Rote Menschen « . Es sind Nomaden. In den Wintermonaten leben sie hier am Fluss, aber im Sommer, wenn der Konkiep ausgetrocknet ist, ziehen sie mit ihrem Vieh von einem Wasserloch zum anderen. Ihre Mattenhütten nehmen sie einfach mit, sie ziehen nur die Stangen aus der Erde, rollen die Matten zusammen und verladen sie auf ihre Ochsen.
    Die Awa-khois behandeln mich recht freundlich, ein bisschen herablassend, aber das ist kein Wunder. Schließlich muss ich ihnen so unverständig vorkommen wie ein kleines Kind. Ich kenne ja nicht einmal die einfachsten Zusammenhänge.
    Gestern habe ich gesehen, wie eine von Petrus’ Schwestern essbare Wurzeln ausgegraben hat. Dazu wird der sandige Boden um einen bestimmten Baum herum gelockert. Wenn man die dicke, gelbbraune Wurzel freigelegt hat, wird ein ellenlanges Stück davon abgeschnitten, dann schüttet man das Loch wieder zu. Der Baum soll ja nicht absterben, sondern neue Wurzeln treiben, die dann wieder » geerntet « werden können. Das Wurzelstück wird so lange mit Steinen bearbeitet, bis die Fasern mürbe geworden sind. Danach schneiden es die Frauen in kleine Stücke und verteilen es wie Konfekt an alle Stammesmitglieder. Und im Nu sind alle am Kauen wie bei uns in Elberfeld die Kühe auf der Weide. Nur den ganz kleinen Kindern werden die Brocken von ihren Müttern vorgekaut.
    Die Wurzel schmeckt nicht einmal übel, recht süß und würzig. Vielleicht verziehst Du jetzt vor Ekel das Gesicht, aber man darf nicht wählerisch sein, wenn man bei den Hottentotten lebt …
     
    Ich legte den Bleistift weg und seufzte. Es war müßig, so viel ich auch schrieb, es würde mir doch nicht gelingen, Bertram auch nur einen vagen Eindruck von meinem Leben im Nama-Dorf zu vermitteln. Ich konnte ihm schildern, was man hier aß, wie die Eingeborenen aussahen und wie sie sich kleideten. Dass die Frauen halb nackt waren und dass ich es am Anfang kaum gewagt hatte, sie anzuschauen, aber inzwischen kam mir meine eigene Kleidung seltsam vor. Das alles ließ sich beschreiben, das Wesentliche jedoch, das, was das Leben hier ausmachte, würde ich ihm nicht begreiflich machen können.
    Was war das Wesentliche?
    Der enge Zusammenhalt, in dem die Menschen lebten. Die Männer und Frauen, die Alten und Jungen, alle hockten von morgens bis abends zusammen. Niemals sonderte sich einer von ihnen ab, zog sich in seine Hütte zurück oder ging spazieren. Wenn eine Frau am Fluss Wäsche wusch, dann

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