Im Land des Regengottes
aufgespürt. Dann hörte ich das Getrappel von Füßen. Nackte Füße, die die inzwischen wieder trockene Erde zum Vibrieren brachten. Und ein Klicken, Schnalzen, ein rhythmischer Gesang, in einer Sprache, die ich nicht verstand.
Gespenster, dachte ich. Ein wildes, böses Geisterheer. Aber Gespenster rauchten keine Pfeife und in der Luft lag jetzt der Geruch von Tabak. Was waren das für Menschen, was wollten sie? Wovor hatte Petrus solche Angst?
Ein lauter Ruf auf der anderen Seite.
Das Getrappel verstummte. Der Zug hielt an.
Ich hielt den Atem an. Wenn ich den Kopf drehte, konnte ich Petrus’ Gesicht sehen. Seine Stirn und seine Schläfen glänzten nass, obwohl die Nacht sehr kühl war. Mein Herz schlug lauter als eine Buschtrommel. Die Männer auf der anderen Seite des Felsens mussten es hören. Sie hatten unser Feuer entdeckt oder das, was davon übrig war. Die Asche war noch warm, sie mussten wissen, dass wir ganz in der Nähe waren. Sie würden uns suchen und finden, und dann, was dann?
Ich hörte, wie sie sich leise berieten. Ihr Geflüster klang wie das wütende Summen in einem Bienenstock. Wenn ich sie doch wenigstens sehen könnte.
Ich hob den Kopf und spähte nach oben. Über uns klaffte ein Spalt im Felsen. Wenn er tief genug wäre, konnte man vielleicht bis zu unserer Lagerstelle hindurchblicken. Behutsam richtete ich mich auf. Mein Kopf hatte den Spalt fast erreicht, als Petrus mich am Ärmel packte und wieder nach unten zerren wollte. Aber ich riss mich los. Alles war besser als diese unbestimmte Furcht. Ich musste sehen, was uns bedrohte.
Millimeter für Millimeter näherte ich mich der Öffnung im Stein. Aber unten war der Spalt viel zu schmal, ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um die Stelle zu erreichen, die breit genug war, um bis zur anderen Seite zu blicken.
Im Mondlicht sah ich eine Handvoll Soldaten, Schwarze, mit Gewehren über der Schulter. Sie trugen Uniformröcke der deutschen Schutztruppen. Verbündete, dachte ich. Freunde. Aber warum zogen sie mitten in der Nacht durchs Kapland nach Norden? Während ich noch darüber nachdachte, drehte einer der Soldaten sich um und schaute in meine Richtung. Einen Moment lang sahen wir uns direkt in die Augen.
Entsetzt ließ ich mich nach unten fallen. Mein Herz hämmerte.
Petrus’ Blick war groß, erschrocken, fragend. Auf der anderen Seite wurden die Männerstimmen lauter.
Hatten sie mich entdeckt? Unsinn, der Kerl konnte mich nicht gesehen haben. Der Spalt war viel zu schmal und im Übrigen war es stockdunkel. Wenn ich doch nur verstanden hätte, was die Männer riefen. Petrus griff nach meinem Arm. Seine Finger umklammerten meine Schulter so fest, dass es wehtat. Was wollte er mir damit sagen? Dass alles aus war?
Ein Schuss, ein Schrei! Du liebe Zeit! Ich sank noch tiefer in mich zusammen, schloss die Augen und faltete die Hände. Lieber Gott, betete ich, wenn du mich am Leben lässt, will ich nie wieder gegen dich sündigen und ich will auch Petrus nicht mehr küssen.
Gott gab keine Antwort, vielleicht gab es ihn ja gar nicht. Vielleicht schaute in Wirklichkeit Tsui Goab aus dem Himmel auf uns herab und zürnte mir, weil ich den Falschen anbetete. Mir fielen plötzlich die Farmersleute aus Seeheim wieder ein. Herr Sehl hatte davon gesprochen, dass es in der Gegend häufig zu Hottentottenaufständen kam. Waren die Männer auf der anderen Seite des Felsens Aufständische, Rebellen, die gegen die deutschen Schutztruppen zogen? Hatten sie ihre Uniformjacken und die Gewehre womöglich im Kampf erbeutet?
Falls sie mich entdeckten, war ich verloren. Eine Weiße, mutterseelenallein in der afrikanischen Steppe. Wenn ich Glück hatte, würden sie mich als Druckmittel benutzen, um ihren Gegner zu erpressen. Wahrscheinlicher war, dass sie mich am nächsten Baum aufknüpften. Oder an einen Marterpfahl banden und folterten, wie es die Indianer im Wilden Westen mit ihren Opfern taten.
Obwohl ich auf der Erde saß, war mir auf einmal schwindlig vor Angst. Ich wollte nach Petrus’ Hand greifen, aber dann tat ich es doch nicht. »Man weiß aber nicht, ob er im Zweifelsfall nicht doch zu seiner eigenen Art halten würde.«Das waren damals Frau Sehls Worte gewesen . Es stimmte: Wenn Petrus jetzt aufsprang und mich seinen Stammesgenossen auslieferte, dann wäre er gerettet. »Das wahre Wesen eines Menschen zeigt sich erst in der Not«, hatte meine Mutter früher immer gesagt. Würde ich nun Petrus’ wahres Wesen erkennen?
Ich hörte ein
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