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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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den anderen, ein scheues Tier, das jeden Moment fliehen konnte.
    »Geh nicht weg«, flüsterte ich, wie damals in der Nacht des Nama-Festes, als Petrus und ich das Dagga geraucht hatten. Ich legte meine linke Hand an seine rechte Wange und meine rechte Hand an seine linke Wange. Dann küsste ich ihn. Und er küsste mich.
     
    In Wirklichkeit will er nur das eine, hatte Fräulein Hülshoff zu mir gesagt, aber so war es nicht. Petrus bedrängte mich nicht. Nachdem er mich geküsst hatte, streichelte er mein Gesicht so zart, als wäre ich ein Vogelkind, das aus dem Nest gefallen war. Er streichelte auch mein Haar und meinen Hals, aber weiter ging er nicht, obwohl ich genau spürte, dass er mehr wollte. Und ich wollte es auch.
    Oder vielleicht wollte ich es gar nicht, vielleicht war es nur mein Körper, der das eine wollte. Auch wenn ich nicht einmal genau wusste, was das eine war, denn meine Mutter hatte niemals mit mir über solche Dinge gesprochen. Das wenige, was ich wusste, hatte ich von Trude, die immerhin schon verlobt war. Aber auch Trude hatte mir nicht erklären können, was denn nun in der Hochzeitsnacht wirklich zwischen Mann und Frau geschah. Ich wusste nur, dass beide Eheleute nackt sein mussten. Dieser Gedanke hatte mich damals regelrecht angewidert, weil Trudes Verlobter Hans so ein bleicher, hässlicher Kerl war.
    Als Petrus mich küsste, widerte mich der Gedanke jedoch nicht an, im Gegenteil, es erschien mir durch und durch natürlich. Aber als meine Finger unter den Kragen seiner Weste glitten, schob er mich zurück.
    Hinterher wunderte ich mich über mich selbst. Mein Verlangen, meine Gier erschreckten mich.
    Vielleicht hatte der Teufel Besitz von mir ergriffen, weil ich zu viel Zeit unter den Wilden verbracht hatte. Oder Gaunab, der Nama-Gott, der im dunklen Nachthimmel wohnte und den Menschen Krankheit, Dürre und Tod brachte.
    »Gaunab ist Satan«, hatte ich gesagt, als Petrus mir von ihm erzählte. »Ihr habt ihm nur einen anderen Namen gegeben.«
    Aber Petrus hatte mir erklärt, dass Tsui Goab und Gaunab ein und dasselbe Wesen mit zwei gegensätzlichen Seiten seien. »Manchmal bringt Gaunab Unglück und Tsui Goab macht es wieder gut.«
    Vielleicht waren auch meine Liebe zu Petrus und mein sündiges Verlangen nach ihm zwei Seiten des gleichen Gefühls. Gut und schlecht zugleich. Das eine war untrennbar mit dem anderen verbunden. Und wenn ich versuchte, es zu trennen, würde ich zerbrechen.
     
    Weil ich nach unserem Kuss so aufgewühlt war, übernahm ich die erste Wache und Petrus die zweite und das rettete uns das Leben.
    Ich wachte so lange, bis der Mond von dem Kaktusfeigenstrauch zu unserer Linken über das Dornengestrüpp zu unserer Rechten gewandert war. Dann weckte ich Petrus auf und legte mich schlafen.
    Ich träumte davon, dass ich mit Petrus über die Wiese hinter der Kohlstraßenkapelle lief. Überall waren Menschen, die durch die Frühlingssonne spazierten. Petrus legte seinen Arm um meine Schulter. Es war ein warmes und wunderbares Gefühl und dennoch erschrak ich.
    »Schau doch nur, die vielen Menschen. Alle können uns sehen.«
    »Und wenn schon«, sagte er gleichmütig und zog mich noch enger an sich.
    Im Traum erschien mir alles so einfach und leicht. Und wenn schon, dachte auch ich. Warum habe ich das nicht schon viel früher erkannt, dass die anderen uns überhaupt nichts anhaben können? Sollen sie sich erregen, sollen sie sich ärgern, sollen sie doch mit den Fingern auf uns zeigen.
    Als Petrus mich wachrüttelte, hatte ich ein Lächeln auf den Lippen, aber dann legte sich seine Hand darüber. »Schschsch«, machte er.
    »Mmmmm!«, wehrte ich mich.
    Das Feuer war verloschen, aber der Mond schien hell. Petrus’ Augen waren groß und weit vor Angst. Ich verstummte erschrocken. Er ließ mich los, packte meine Hand und zog mich zu ein paar Felsblöcken, die im Mondlicht bizarre Schatten warfen. Dahinter zerrte er mich ins Gestrüpp. Die Dornen stachen in meine Haut, ich spürte, wie sie mir Arme, Beine und Gesicht aufrissen, aber die Schmerzen spürte ich nicht. Ich gab auch keinen Laut von mir, sondern ließ mich immer tiefer in die Ranken hineinziehen. Petrus war dicht vor mir, ich hörte ihn leise keuchen und roch seinen Schweiß, ein stechender Geruch der Angst.
    In der Mitte des Gestrüpps drückte er meinen Kopf nach unten und duckte sich neben mich. Wovor versteckten wir uns? Vor einem wilden Tier? Aber jeder Kojote, jede Raubkatze hätte uns sofort gerochen und

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