Im Land des Regengottes
schneller zum Wasser zu gelangen.
»Halt«, sagte Petrus, »vorsichtig.«
»Was?«, fragte ich erschrocken.
Ich reckte den Hals. Ob die aufständischen Nama-Krieger vielleicht irgendwo auf uns lauerten? Über meinem Durst hatte ich die Bedrohung der vergangenen Nacht fast vergessen. Aber jetzt war alles wieder da.
Ich folgte Petrus zögernd, der mit großen Schritten voranging. Er schlich sich aber nicht an, im Gegenteil, als wir die Wasserstelle fast erreicht hatten, riss er einen Zweig von einem Busch und peitschte damit gegen das Gestrüpp. Wir hörten das Knacken von Ästen und dann das Geräusch panisch trappelnder Hufe. Eine Herde Springböcke floh im gestreckten Galopp über die Ebene hinter den Bäumen, gefolgt von einer Handvoll Kudus.
»Keine Raubtiere«, sagte Petrus. Er wies mit der Hand auf das Loch, so als hätte er es persönlich für mich ausgegraben. »Bitte schön.«
Die Wasseroberfläche glänzte wie braune Seide im Schatten der Büsche. Ich ließ mich am Rand des Lochs auf die Knie fallen und streckte den Kopf zum Wasser wie ein Tier. Gierig schöpfte ich Wasser in meine Hände, einen Teil trank ich, der Rest lief mir über Kinn und Hals, tropfte zu Boden, rann in meine Bluse. Das Wasser schmeckte nach Erde, aber es war köstlich frisch und kühl. Am liebsten hätte ich mir die Kleider vom Leib gerissen und wäre in das Loch hineingesprungen und untergetaucht.
»Was ist?« Ich wandte den Kopf zu Petrus, der immer noch neben mir stand und sich umblickte. »Warum trinkst du nicht?«
Er antwortete nicht, sondern sog die Luft durch die Nasenflügel.
War etwas nicht in Ordnung? Ich wurde sofort unruhig und richtete mich ebenfalls wieder auf.
»Nein, alles ist gut. Trink.«
Als ich mich erneut nach unten beugte, tauchte im Spiegel der Wasseroberfläche ein Gesicht auf. Ein fremdes Gesicht. Unwillkürlich wich ich zurück. Das Gesicht verschwand wieder. Es war meines.
Langsam lehnte ich mich nach vorn und betrachtete mich. Wie sehr ich mich verändert hatte. Mein Haar hing nass, zerzaust und lose auf meine Schultern, die Sonne hatte es gebleicht, sodass es fast blond war. Mein Gesicht war hagerer und ernster geworden, die Augen groß und dunkel. Meine Haut war braun gebrannt. Fast so dunkel wie die von Petrus. Wenn Bertram mich gesehen hätte, er hätte mich nicht wiedererkannt.
Nachdem wir getrunken hatten, setzten wir uns an den Rand des Lochs und ließen unsere nackten Füße ins Wasser hängen.
»Wenn wir das Wasser nur mitnehmen könnten«, jammerte ich. »Aber diese Schurken haben uns ja unsere Kalebassen gestohlen.«
»Die Schurken«, wiederholte Petrus nachdenklich.
Ich zögerte. Die Aufständischen, die wir in der letzten Nacht gesehen hatten, waren Nama gewesen genau wie Petrus. Vielleicht gefiel es ihm nicht, dass ich sie als Schurken bezeichnete. Ich wollte ihn nicht verletzen, aber es war doch wahr, die Hottentottenrebellen waren Schurken. Sie hatten uns bestohlen und wenn sie mich erwischt hätten, hätten sie mich bestimmt auch erschlagen. Sie waren Schurken, die sich mit Waffengewalt gegen die Ordnung im Schutzgebiet auflehnten und gegen die Deutschen zogen. Fräulein Hülshoff hatte mir damals in Bethanien von der feigen Kampfstrategie der Eingeborenen erzählt: »Sie stellen sich den deutschen Schutztruppen nicht im ehrlichen Gefecht, da wären sie unseren Männern ja hoffnungslos unterlegen. Nein, die Hottentotten greifen immer nur vereinzelte Soldaten oder kleine Truppenteile an, sie überfallen sie im Schlaf oder locken sie in einen Hinterhalt. Und dann vergreifen sie sich auch gerne an hilflosen Weibern und Kindern. Man erzählt sich schlimme Dinge, die die Wilden da angerichtet haben.«
All das konnte ich Petrus natürlich nicht sagen. Ich wollte ihn nicht kränken. Es war ja auch nicht so, dass ich den Zorn der Eingeborenen nicht verstehen konnte und den Hass, den sie auf uns Weiße verspürten. Früher hatte ihnen das ganze Land gehört. Nun besaßen die Deutji den fruchtbarsten Grund. Und was hatten sie den Nama im Gegenzug gebracht? »Schnaps«, würde Petrus antworten.
»Die Männer werden sterben«, sagte er jetzt.
Recht so, fand ich. Wenn ich an meine Todesangst in der letzten Nacht dachte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.
»Was sie vorhaben, ist der reine Wahnsinn«, sagte ich laut. »Mit ein paar Männern und einer Handvoll Waffen gegen die deutschen Schutztruppen zu ziehen. Ein Blinder kann sehen, dass das zum Scheitern verurteilt
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