Im Land des Regengottes
ist.«
»Was sollen sie sonst tun?«, fragte Petrus. »Die Deutschen lassen uns keine andere Wahl. Krieg oder Tod.«
»Das ist doch übertrieben«, widersprach ich. »Und im Übrigen ist nicht alles schlecht und verderbt, was die Deutschen hier tun. Man muss auch das Gute sehen.«
»Welches Gute?«
»Die deutschen Siedler haben die Zivilisation nach Südwest gebracht. Und neue technischen Erfindungen, Gerätschaften und Maschinen. Bald soll eine Eisenbahn gebaut werden. Die erste Strecke wird von Swakopmund nach Windhuk führen.«
»Wer braucht das? Meine Leute bestimmt nicht.«
»Woher willst du das wissen? In den Zügen kann man auch Waren befördern. Dadurch gibt es mehr Handel, auch das ist gut für das Land.«
Petrus antwortete nicht, er lächelte nur verächtlich. Es ärgerte mich, dieses Lächeln, deshalb wurde meine Stimme lauter, als ich fortfuhr: »Ohne die deutschen Missionare und Lehrer könnte kein einziger Nama lesen und schreiben. Und unsere Ärzte heilen auch die Schwarzen. Zum Beispiel dich, damals in Windhuk. Wenn man dich nicht ins Hospital gebracht hätte, wärst du gestorben, das hast du selbst gesagt. Also verdankst du den Weißen dein Leben.«
»Henrietta«, sagte Petrus, »du redest Blödsinn. Bevor ihr Weißen hier wart, war bestimmt nicht alles gut. Es gab Kriege zwischen Nama und Herero und manchmal sogar zwischen einem Nama-Stamm und dem anderen. Es gab Hunger und Krankheiten und Tod, so wie heute auch. Aber damals waren meine Leute frei. Wir konnten gehen, wohin wir wollten, und leben, wie es uns gefiel. Heute gibt es überall Zäune und Grenzen. Die Deutschen ziehen nicht im Land herum, sie bleiben auf einem Fleck Erde sitzen und sagen: Das ist meins. Dort ist deins. Und ein einziger Deutji braucht mehr Platz als ein ganzer Nama-Stamm.«
»Na und? Das Land ist doch groß genug.«
»Aber die Erde ist hart und karg. Dieses Wasser hier ist für alle da. Für Tiere und Menschen, jeder kann es trinken. Aber wenn ein Einzelner es nur für sich beansprucht, dann verdursten alle anderen.«
»Das mag ja stimmen«, gab ich zu. »Aber es ist, wie es ist. Die Deutschen sind nun mal im Land und haben das Sagen. Nun müssen sich deine Leute damit arrangieren. Euer Widerstand ist zwecklos. Ihr könnt die Schutztruppen nicht besiegen. Ihr könnt nur untergehen.«
»Also werden wir untergehen«, sagte Petrus.
Wie dumm ich damals war. Ich war wütend auf die Nama-Krieger, weil sie mir in der Nacht zuvor einen Todesschrecken eingejagt hatten. Aber ich begriff nicht, dass Petrus recht hatte. Dass der Aufstand ihre einzige, ihre letzte Chance war. Eine Chance, die zum Scheitern verurteilt war, das weiß ich nun, da ich diesen Bericht zu Papier bringe. Nur ein paar Jahre nach diesem Gespräch brach der große Aufstand der Herero und Nama aus, der heute das ganze Schutzgebiet erschüttert. Hunderten von Menschen hat der Krieg zwischen deutschen Schutztruppen und eingeborenen Rebellen bereits das Leben gekostet, noch viele Tausende mehr wird er hinwegraffen. Und am Ende werden die Schwarzen verlieren und die Weißen triumphieren.
Tod oder Krieg, das waren die beiden Alternativen, zwischen denen die Nama wählen konnten. Sie entschieden sich für den Krieg – und bekamen den Tod dazu.
Wir verbrachten die Nacht in der Nähe des Wasserlochs. Petrus baute eine Falle aus einem schweren Stein und einem Stück Schnur, die er aus Fasern von Baumrinde drehte. Damit fing er vier kleine Mäuse und eine Ratte. Danach bastelte er aus einem krummen Ast und einem Faden aus seiner aufgerissenen Hose eine Art Bogen, den er so lange gegen ein Holzstück rieb, bis ein Funke entstand, mit dem er wiederum einen Haufen Distelsamen und Reisig entzündete. Im Nu flackerte ein Feuer, über dem er das Fleisch röstete.
Diesmal griff ich ohne Zögern zu. »In der Not schmeckt jedes Brot«, hatte meine Mutter früher immer gesagt. Wie entsetzt sie wäre, wenn sie mich jetzt sehen könnte. Und mein Vater? Wäre er angewidert, bestürzt, erbost, amüsiert, traurig, wenn er wüsste, dass ich in der afrikanischen Wildnis mit einem Hottentotten am Lagerfeuer saß und Mäuse und Ratten aß?
Ich hatte keine Ahnung. Und es interessierte mich auch gar nicht, stellte ich zu meiner Überraschung fest. Meine Eltern waren beide tot. Sie konnten mir nicht mehr raten, sie konnte mich auch nicht mehr tadeln. Ich musste meinen Weg ohne ihre Hilfe finden.
»Siehst du, wie gut das geht?«, fragte Petrus, während er noch ein paar
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