Im Land des Regengottes
Aus der Dunkelheit tauchte jetzt auch Willem auf und stellte sich neben Slagman.
»Woher kommen Sie so plötzlich?«, fragte ich.
Meine Stimme hallte seltsam in meinen Ohren, als stünde ich in einer großen Grotte oder in einer leeren Kirche. Ich zitterte am ganzen Körper. Genau wie Petrus neben mir. Am liebsten hätte ich meinen Arm um ihn gelegt und hätte ihn einfach weggezogen. Weg von Slagman, weg von dem toten Leoparden, auf dessen Gesicht ein seltsam friedlicher, fast erlöster Ausdruck lag. Nur das hässliche Loch zwischen seinen Augen deutete darauf hin, dass er nicht schlief. Wenn Slagman nicht gewesen wäre, wenn er nicht im letzten Moment eingegriffen hätte, dann läge ich jetzt dort und der Leopard würde mir die Eingeweide aus dem Leib reißen. Auf einmal wurden meine Knie so weich, dass sie meinen Körper nicht mehr trugen. Ich ließ mich zu Boden sinken.
»Ich wusste eben, dass man Sie nicht allein lassen kann«, sagte Slagman, während er Willem ein Messer reichte, damit er dem Leoparden das Fell abziehen konnte.
Er war uns die ganze Zeit gefolgt. In der letzten Nacht, in der die Nama-Truppen uns beraubt hatten, hatte er sich und seine Tiere in einer Felshöhle versteckt, sodass er unentdeckt geblieben war.
»Wenn Sie bei mir geblieben wären, wäre Ihnen ebenfalls nichts passiert«, knurrte er verächtlich. »Aber sie mussten ja unbedingt Ihren Kopf durchsetzen und auf eigene Faust losziehen. Mitten in der Wildnis zu kampieren, wer kommt denn auf eine so hirnrissige Idee? Na, immerhin hat Sie Ihr Kaffer nicht verraten.«
Er ließ sich ebenfalls auf einen Stein fallen und sah dabei zu, wie sein Diener den Leoparden auf den Rücken drehte, das Messer unter dem Kinn ansetzte und es mit beiden Händen mit einem einzigen, kraftvollen Zug zum After zog. Von einer Sekunde zur nächsten quollen Blut und glänzend bläuliche Eingeweide aus dem Bauch des Tieres.
»Was ist?«, fragte Slagman Petrus. »Willst du ihm nicht helfen?«
Ohne eine Miene zu verziehen, ging Petrus zu dem anderen Schwarzen.
»Aber Vorsicht. Kein unnötiges Gemetzel. Ich will das Fell in einem Stück. Wenn es auch nicht viel einbringen wird.«
Während Petrus und Willem den Leoparden häuteten, zündete Slagman sich eine Zigarette an. Ich selbst blieb an der gleichen Stelle sitzen, an der ich zu Boden gesunken war. Der Geruch von Slagmans Zigarette vermischte sich mit dem Gestank, der aus den Gedärmen aufstieg. Ich atmete so flach wie möglich. Petrus’ Hände, seine Arme und Beine waren bereits nach kurzer Zeit blutig, sogar sein Gesicht war blutbespritzt. Zentimeter für Zentimeter trennte er das Fell vom Leib des Leoparden. Ich musste würgen und wandte die Augen ab. Jetzt erst bemerkte ich, dass Slagman mich ansah. Er hatte mir das Leben gerettet, aber ich hasste ihn deshalb nicht weniger.
Das wusste er und vermutlich wusste er noch viel mehr. Er wusste, dass Petrus sich ihm gegenüber dumm stellte, damit er ihn in Ruhe ließ. Er wusste von unserer Liebe zueinander. Und wie aussichtslos sie war.
»So ein dummes kleines Mädchen«, meinte er jetzt kopfschüttelnd. »Denkt, dass es einfach so mir nichts, dir nichts, durch den Busch spazieren kann, ohne dass ihm etwas passiert.«
Ich schloss die Augen, als wäre ich gelangweilt. Hinter meinen Lidern leuchtete das Lagerfeuer, das Slagman mit neuem Holz gefüttert hatte. Die Flammen flackerten rot und wild.
Gegen Morgen hatten Petrus und Willem ihre blutige Arbeit beendet. Sie schleppten den nackten Leopardenkörper auf die Ebene hinter den Bäumen, wo die Geier über ihn herfielen, bevor sie ihn richtig losgelassen hatten.
»Wir ziehen sofort weiter«, bestimmte Slagman. »Es wird nicht lange dauern, bis die ersten Löwen oder Hyänen hier auftauchen. Bis dahin müssen wir weg sein.«
Immerhin geduldete er sich noch so lange, bis die beiden Schwarzen sich am Wasserloch das Blut vom Körper und aus den Kleidern gewaschen hatten. Danach hievten sie die stinkende Leopardenhaut oben auf die Bündel und Pakete, die Slagmans Esel schleppte. Um das Fell zu schützen, wendeten sie die innere Seite nach außen, sodass der Esel aussah, als trüge er ein blutiges Zelt auf dem Rücken.
Slagman bot mir an, auf dem Maultier zu reiten, und obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, akzeptierte ich den Vorschlag. Ich hätte keinen Schritt gehen können, ich war mit meinen Kräften vollkommen am Ende. Ich schaffte es nicht einmal mehr, auf das Maultier aufzusteigen, sondern
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