Im Land des Roten Ahorns
Tränen kullerten ihm über die Wangen.
Sie versuchte zu lächeln, doch ihre Gesichtsmuskeln wollten noch nicht gehorchen. »Warum weinst du denn?«, fragte sie. »Und warum habe ich diese Schmerzen?«
»Warwick hat auf uns geschossen, weißt du nicht mehr?«
Jaqueline zog die Augenbrauen zusammen und überlegte. Dann schüttelte sie den Kopf.
Vermutlich ist das der Ätherrausch, dachte Connor, während er nach Jaquelines Hand griff und sie küsste.
»Du solltest dich ausruhen.«
»An unsere Verlobung erinnere ich mich aber noch«, fügte sie dann hinzu, und nun gelang ihr das Lächeln. »Ich wäre so gern mit der Tram in der Stadt gefahren und mit dir auf den Mount Royal geklettert.«
»Na, das sind ja mal Pläne!« Connor wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann beugte er sich über sie, gab seiner Verlobten einen Kuss und flüsterte: »Wir werden alles nachholen, das verspreche ich dir. Warwick kann uns nichts mehr anhaben.«
Epilog
H AMBURG , W INTER 1876
»Das ist meine Heimatstadt«, erklärte Jaqueline ihrem Ehemann, als sie am Alsterufer standen und auf den Hafen blickten. »Vor einem Jahr hätte ich noch nicht geglaubt, dass ich als verheiratete Frau zurückkehren würde.«
Lächelnd erinnerte sie sich an ihr rauschendes Hochzeitsfest in St. Thomas. Connors Leute hatten es sich nach der kirchlichen Trauung nicht nehmen lassen, vor der Kirche Aufstellung zu nehmen und sie auf dem Hochzeitszug durch die ganze Stadt zu begleiten. Er führte auch am Haus der Bonvilles vorbei, doch niemand ließ sich blicken.
Connor hatte beschlossen, Marion zu vergeben. Allein durch die gelöste Verlobung war sie bereits gestraft genug. Auf Jaquelines Einwand, dass der alte Bonville vielleicht etwas gegen ihn unternehmen werde, hatte Connor abgewunken.
»Soll er intrigieren, wie er will. Ins Holzgeschäft pfuscht er mir nicht, und an der Politik habe ich kein Interesse. Wahrscheinlich wird er sich bald damit trösten, dass ich nicht der Richtige für seine Tochter war. Wie man munkelt, hat er längst jemand anderen als Schwiegersohn im Auge. Marion wird vermutlich mitspielen, sofern sie die Aussicht hat, die Gattin eines einflussreichen Mannes zu werden.«
Da sie noch keine Hochzeitsreise gemacht hatten, hatte Jaqueline den Wunsch geäußert, nach Hamburg zu fahren. Das Jahr Leihzeit für ihre versetzte Brosche würde in wenigen Wochen ablaufen. Außerdem wollte sie ihren Reisebericht einem deutschen Verleger anbieten. Obwohl sie inzwischen gut Englisch sprach, fiel es ihr leichter, in ihrer Muttersprache zu schreiben.
Als Erstes jedoch machten sie einen Abstecher zu Jaquelines Elternhaus. Eine Kaufmannsfamilie mit zwei lebhaften Töchtern war dort eingezogen, wie Martin Petersen ihr geschrieben hatte. Jaqueline hatte zunächst erwogen, sich den Leuten vorzustellen, doch sie entschied sich dagegen. Möge das Haus den neuen Bewohnern mehr Glück bringen als mir!, dachte sie und zog Connor fort.
Zu Fuß wanderten sie zur Kanzlei des Anwalts, dem Jaqueline so viel zu verdanken hatte.
Martin Petersen und seine Familie waren überrascht über ihren Besuch, doch alle freuten sich sichtlich, Jaqueline so wohlbehalten wiederzusehen. Ihre Überraschung wuchs noch, als sie erfuhren, dass der Mann an Jaquelines Seite ihr Ehemann war.
»Das ist genau das, was Ihr Vater sich für Sie gewünscht hätte!«, rief Herr Petersen begeistert.
Jaqueline erkundigte sich nach den polizeilichen Ermittlungen. Ob der Mord an ihrem Diener endlich gesühnt war? Sie hatte sich vorgenommen, nicht nur das Grab ihres Vaters zu besuchen, sondern auch auf Christophs Grabstätte einen Strauß niederzulegen.
Mit Genugtuung nahm sie nun zur Kenntnis, dass Fahrkrog vor wenigen Wochen wegen Beihilfe zum Mord im Zuchthaus gelandet war. Aufgrund von Zeugenaussagen hatte man seine Handlanger gefasst, und die hatten ihren Auftraggeber verraten. Jaqueline war froh, dass der Geldhai nun niemandem mehr gefährlich werden konnte.
Sie verabschiedete sich von den Petersens mit dem Versprechen, den Briefkontakt nicht abreißen zu lassen.
Während sie an der Alster entlangspazierten, umfasste Connor seine Frau sanft und küsste verstohlen ihre Wange. »Ein schöner Flecken Erde, aber ich muss zugeben, dass ich mich in meinem Wald wohler fühle«, erklärte er.
»Wir bleiben ja auch nicht ewig hier. Nur so lange, bis ich alles erledigt habe.« Ein geheimnisvolles Lächeln huschte über Jaquelines Gesicht. Auf der Fahrt hierher hatte sich etwas
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