Im Land des Roten Ahorns
wenig. Nachdem sie das Angebot, etwas zu essen, ausgeschlagen hatte, servierte die Hausherrin ihr einen würzigen Darjeeling, der den Geist belebte.
Die ganze Zeit über beobachtete Marie ihren Gast, doch sie war taktvoll genug, keine Fragen zu stellen. Als schließlich das Weinen eines ihrer Kinder ertönte, entschuldigte sie sich und verließ die Stube. Jaqueline streckte sich wieder auf der Chaiselongue aus, denn sie fühlte sich noch immer schwach.
Obwohl sie vorgehabt hatte, wach zu bleiben, bis Petersen wieder zurück war, fielen ihr nach einer Weile die Augen zu und sie versank in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst erwachte, als schwere Schritte neben ihr ertönten.
Sie öffnete die Augen und fuhr erschrocken hoch. Ein Mann in Uniform stand neben ihr.
»Immer mit der Ruhe, Fräulein Halstenbek!«, redete Petersen sanft auf sie ein. »Das ist Wachmeister Bartels, er war mit mir in Ihrem Haus und hat dafür gesorgt, dass man Ihren Diener abgeholt hat. Er möchte Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
Jaqueline erhob sich benommen.
Der Polizist reichte ihr die Hand. »Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie zu so später Stunde noch behellige, aber je früher wir mit den Ermittlungen beginnen, desto besser.«
In den folgenden Minuten berichtete ihm Jaqueline in allen Einzelheiten, was passiert war. Hoffentlich kriegen Fahrkrog und seine Schlägertruppe, was sie verdienen, dachte sie.
Schließlich fand sie auch den Mut, dem Wachtmeister von dem Verdacht bezüglich der eingeschlagenen Scheiben zu erzählen, obwohl Martin Petersen dadurch erfuhr, dass sie ihn angeschwindelt hatte. Aber Christophs Mörder musste überführt werden, und schon deshalb durfte sie nichts verschweigen.
Dieser Mistkerl von Fahrkrog sollte für seine Missetaten büßen!
Am nächsten Morgen erwachte Jaqueline in der Hoffnung, dass die Ereignisse der vergangenen Nacht nur ein Traum gewesen waren. Doch noch immer befand sie sich im Haus der Petersens. Obwohl der Ofen eine wohlige Wärme verbreitete und zarter Rosenduft in der Luft hing, fühlte sie sich unwohl.
Auf dem Stuhl neben dem Bett hing ein dunkelgrünes Kleid, das Marie Petersen gehörte.
Ich werde ihnen ihre Güte niemals vergelten können, ging Jaqueline durch den Sinn, während sie am Waschgeschirr neben dem Fenster ihre Morgentoilette machte.
Das kalte Wasser vertrieb zwar die Müdigkeit, aber nicht die Gedanken. Wo soll ich nun hin? Soll ich mich gleich heute um eine Schiffspassage bemühen? Und was ist mit Alan Warwick? Ob er meine Nachricht beantworten wird?
Aber Letzteres war wohl die kleinste ihrer Sorgen. Christoph hatte keine Familie, sie musste ihn beerdigen lassen. Auch die Kosten für das Begräbnis ihres Vaters musste sie noch begleichen.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Grübelei.
»Fräulein Halstenbek?«
Die Stimme gehörte Lilly, dem Dienstmädchen der Petersens.
»Ja, ich bin wach!«, rief Jaqueline und griff nach dem Handtuch, doch das Mädchen hatte nicht vor hereinzukommen.
»Die gnädige Frau lässt fragen, ob Sie das Frühstück hier oben einzunehmen wünschen oder unten im Esszimmer.«
»Ich komme runter!«, rief Jaqueline.
Nachdem sie Maries Kleid angezogen und sich frisiert hatte, stieg sie die Treppe hinunter.
Der Duft von frisch gebackenen Waffeln strömte ihr entgegen, der sie an ihre Kindheit erinnerte.
Im Esszimmer wurde sie bereits von den Petersens erwartet. Die Tafel war so reich gedeckt, wie es bei Jaqueline schon lange nicht mehr der Fall gewesen war.
Etwas beklommen wünschte sie ihren Gastgebern einen guten Morgen.
»Ich hoffe, Sie haben ein wenig Schlaf gefunden«, sagte Marie Petersen mitfühlend, während sie dem Dienstmädchen mit einem Wink bedeutete, Jaqueline Kaffee einzuschenken.
»Danke, es ging. Ich habe mich heute Morgen allerdings gefragt, ob ich nicht alles nur geträumt habe.«
Marie blickte zu ihrem Mann, der den Kopf senkte.
»Leider nicht, Fräulein Halstenbek. Aber ich versichere Ihnen, dass wir alles Erdenkliche tun werden, damit der Mörder von Herrn Hansen gefasst wird.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen.«
Jaqueline blickte auf das Gedeck vor sich. Soeben hatte sie noch Hunger verspürt, doch der war ihr inzwischen vergangen.
Petersen räusperte sich, als sei er unschlüssig, das auszusprechen, was ihm durch den Kopf ging. Dann gab er sich einen Ruck. »Fahrkrog hatte es also auf Sie abgesehen?«
Jaqueline seufzte tief. »Ja, schon am ersten Tag nach Vaters Tod ist er mir auf den Leib
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