Im Land des Roten Ahorns
helfe. Das bin ich dem Andenken Ihres Vaters schuldig.«
Auf dem Rückweg in die Mönckebergstraße fühlte sich Jaqueline wie in Trance. Halb war ihr zum Weinen, halb zum Lachen zumute. Die allmählich aufflammenden Lichter der Gaslaternen verschwammen vor ihren Augen.
Mit fünfhundert Mark in der Tasche und Petersens Unterstützung erschienen ihr die Reisepläne etwas rosiger. Doch durfte sie sich darüber freuen? Was war mit Christoph, der treuen Seele? Konnte sie ihn einfach zurücklassen?
Obwohl er ihr versichert hatte, er werde sich eine neue Anstellung suchen, sobald das Haus verkauft sei, fühlte sie sich für ihn verantwortlich. Sie brachte es nach all den Jahren, die er ihrer Familie treu gedient hatte, nicht übers Herz, ihn in eine ungewisse Zukunft zu entlassen. Vielleicht sollte ich ihm etwas von dem Geld für die Brosche abgeben, überlegte sie. Eine bescheidene Abfindung für so viele Jahre Arbeit, aber immerhin etwas.
Wehmütig blickte Jaqueline zu ihrem Elternhaus auf. Vielleicht werde ich eines Tages genug Geld besitzen, um das Haus und auch Mutters Schmuckstück zurückzukaufen, ging ihr durch den Sinn, während sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste und über ihre Wange floss.
Hastig wischte sie sie weg und stieg die Treppe hinauf.
Da bemerkte sie, dass die Eingangstür offen stand.
Seltsam, dachte sie. Das ist doch eigentlich nicht Christophs Art.
Bevor sie den Türflügel aufzog, bemerkte sie Kratzer am Rahmen.
Ist hier jemand gewaltsam eingedrungen?, durchfuhr es sie. Sie wich zurück und lauschte. Aber sie hörte nur das Pochen ihres Herzens.
Unsinn!, Du bist überreizt, Jaqueline, redete sie sich schließlich zu. Die Leute wissen doch, dass es bei dir nichts mehr zu holen gibt. Die Kratzer stammen vermutlich von einem Packer, der beim Verladen eines Möbelstücks nicht aufgepasst hat.
Einen Moment lang rang sie noch mit sich, ob sie die Polizei rufen solle. Da sie noch immer kein Geräusch vernahm, entschied sie sich jedoch dafür, erst einmal nachzusehen, ob es sich wirklich um einen Einbruch handelte.
Sich vorsichtig nach allen Seiten umschauend, betrat sie die Halle. Das Licht der Gaslaterne vor der Haustür schnitt einen hellen Keil in die Dunkelheit.
Offenbar ist Christoph nicht hier, ging ihr durch den Kopf. Sonst hätte er die Lampen angezündet. Ist er vielleicht zur Polizei unterwegs?
»Christoph?«
Ihre Stimme verhallte ohne eine Antwort in den Tiefen des Gebäudes, was ihre Vermutung bekräftigte. Ihr Diener war nicht hier. Jaqueline verharrte noch einen Moment lauschend, dann zog sie die Haustür ins Schloss und strebte der Küche zu. Vielleicht hat er wenigstens Tee gekocht, bevor er gegangen ist, dachte sie. Halb erfroren, wie ich bin, könnte ich einen Muntermacher gut gebrauchen.
An der Küchentür strömte Jaqueline ein seltsamer Geruch entgegen, bei dem sich ihr Magen zusammenklumpte. Tee war das auf keinen Fall, was sie da roch.
Mit zitternden Händen öffnete sie die Tür. Auch hier war alles dunkel. Nicht einmal das Herdfeuer brannte noch. Feuchte Kühle schlug ihr entgegen. Offenbar war Christoph schon länger fort.
Hat er meine Abwesenheit genutzt, um sich aus dem Staub zu machen?, fragte sie sich. Unsinn! So einer ist Christoph Hansen nicht, war die eindeutige Antwort darauf.
Vorsicht tastete Jaqueline sich zum Küchenschrank, zog aus einer Schublade ein Streichholzbriefchen und zündete die Petroleumlampe an, die auf dem Küchentisch stand.
Mit einem Schrei wich sie zurück.
Der Lichtschein fiel auf Christoph, der mitten im Raum mit dem Gesicht nach unten in einer Blutlache lag. Blut war neben ihm auf den Fliesen verschmiert.
Voller Entsetzen fiel Jaqueline neben ihm auf die Knie. Dass ihr Rocksaum das Blut verschmierte, kümmerte sie nicht.
»Christoph?«, fragte sie mit zitternder Stimme und versuchte, ihn vorsichtig umzudrehen.
Bei all dem Blut, das die Kleidung des Dieners getränkt hatte, drehte sich ihr der Magen um. Aber der Schock hatte sie dermaßen tief getroffen, dass sie weder schreien noch weinen konnte. Fassungslos bemerkte sie eine klaffende Wunde an Christophs Schläfe.
War er gestürzt und mit dem Kopf gegen die Tischkante geprallt? Oder hatte ihn jemand angegriffen?
Plötzlich stöhnte der Verletzte auf.
»Christoph!«, rief Jaqueline, während sie seinen Hemdkragen öffnete. Ihr Herz pochte bis zum Hals. Er lebt noch! Vielleicht ist es doch nicht so schlimm, wie es aussieht.
Der Diener öffnete die Augen, von
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