Im Land des Roten Ahorns
aufwallende Ekel schreckte sie aus ihrer Starre. Blitzschnell warf sie sich herum und rannte zur Tür der Wohnstube.
»Na warte, Miststück!«, rief der Geldverleiher und folgte ihr.
Während Panik ihr Herz zum Flattern brachte, durchquerte Jaqueline das Wohnzimmer. Sie hastete zum Kamin, in dem die Asche vom Luftzug aufgewirbelt wurde, doch bevor sie den Schürhaken fassen konnte, packte eine Hand sie im Haar und riss sie brutal zurück.
»So willst du es also? Ich soll meine Beute jagen, ja?«
Jaqueline stöhnte schmerzvoll auf, schaffte es aber, sich umzudrehen und Fahrkrog eine Ohrfeige zu verpassen.
Die beeindruckte ihn allerdings nicht. Er lachte hämisch, umklammerte ihre Handgelenke und bog sie grob nach hinten.
Jaqueline schrie auf, während der Schmerz durch ihre Arme zog.
Fahrkrog hatte zwar seine Mühe mit ihr, zwang sie aber schließlich auf den Boden. »Nun hab dich nicht so!«, grunzte er, während er sie mit seinem Gewicht unten hielt und mit einer Hand ihre Röcke hochschob. »Es hat noch keiner geschadet, gevögelt zu werden.«
Als er grob zwischen ihre Beine griff, schnappte Jaqueline erschrocken nach Luft. Dann begann sie lauthals zu schreien.
Fahrkrog lachte spöttisch auf. »Spar dir das für nachher! Noch hab ich gar nicht angefangen.«
Christoph Hansens Schritte waren an diesem Morgen ebenso schwer wie sein Herz. Die durchwachte Nacht und der Tod seines Dienstherrn steckten ihm in den Knochen. Auch die schneidende Morgenluft erfrischte ihn nicht. Trauer und Sorge verdunkelten seine Seele.
Was wird jetzt bloß aus dem armen Fräulein Jaqueline?, ging ihm durch den Kopf. Hilflos hatte er mit ansehen müssen, wie die einst so strahlende Familie Halstenbek langsam dem Ruin entgegensteuerte. Das junge Fräulein hätte eigentlich eine glänzende Zukunft vor sich haben sollen, doch der Tod des Vaters hatte es endgültig dem Elend preisgegeben. Nicht mehr lange und das arme Ding würde auf der Straße sitzen. Ohne einen Menschen, der Jaqueline helfen würde.
Die Geräusche der erwachenden Stadt lenkten ihn ein wenig ab. Ein Karren wurde über das Pflaster geschoben, der Milchmann setzte seine Lieferungen vor den Hauseingängen ab. Das wütende Bellen eines Hundes folgte ihm. Christoph nickte dem Mann grüßend zu, denn er war ebenfalls für die Halstenbeks zuständig.
Nach einer Weile tauchte die Kanzlei von Martin Petersen vor ihm auf.
Erstaunt stellte Christoph fest, dass in letzter Zeit einige Renovierungsarbeiten erfolgt waren. Die Außenwände strahlten in Elfenbeinweiß, und die Fenster in der oberen Etage waren erneuert worden. Die Haustür hatte ebenfalls einen neuen graublauen Anstrich bekommen, und in Augenhöhe prangte ein blank polierter Türklopfer aus Messing. Die Treppe hatte ein geschwungenes Geländer erhalten, und schadhafte Stellen in den Stufen waren sichtlich ausgebessert worden.
Petersen scheint es gut zu gehen, sinnierte der Diener, während er die Treppe erklomm. Von den Verlusten der Kriegsjahre hat er sich offenbar bestens erholt.
Kurz nachdem er den Türklopfer betätigt hatte, öffnete der Hausdiener ihm. Die schwarzen Flecken auf der Schürze, die er über den Kleidern trug, verrieten Christoph, dass der Angestellte gerade die Schuhe seiner Herrschaft gewienert hatte.
»Guten Morgen, Heinrich«, sagte Christoph freundlich. »Wie geht es Ihnen?«
»Ich kann nicht klagen. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde gern mit Herrn Petersen sprechen.«
Der Hausdiener blickte sein Gegenüber verwundert an. »Die Kanzlei öffnet erst in einer Stunde.«
»Ich weiß, aber die Angelegenheit ist dringend. Jaqueline Halstenbek schickt mich. Es geht um ihren Vater.«
Der Diener musterte ihn kurz. »Warten Sie bitte einen Moment, ich werde Herrn Petersen Bescheid geben.«
Während Christoph unruhig von einem Bein aufs andere trat, blickte er zum Hafen hinüber. Bevor er sich an den Schiffsmasten festgucken konnte, kehrte Heinrich zurück.
»Herr Petersen erwartet Sie. Folgen Sie mir bitte!«
Noch bevor sie das Büro des Anwalts erreicht hatten, kam Petersen ihnen auch schon entgegen. Zur schwarzen Hose trug er ein blütenweißes Hemd und eine dezent gemusterte Weste, aus deren Tasche eine Uhrkette baumelte.
»Guten Morgen, Christoph, ich hoffe, Sie bringen keine schlechten Nachrichten«, sagte er, nachdem er dem Diener die Hand gegeben hatte.
»Ich fürchte, doch, Herr Petersen. Herr Halstenbek ist vor wenigen Stunden gestorben.«
Die Augen des Anwalts
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