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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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dabei nicht einmal übel.
    Wenig später gingen alle in ihre Hütten zurück. Lotty winkte Anne, ihr zu folgen. »Du hast seit Tagen am Strand geschlafen, wenn ich das richtig gesehen habe. Wir wollen unsere Männer doch nicht weiter dieser Verführung aussetzen … Es ist besser, du schläfst erst einmal bei mir. Und morgen Abend erzähle ich dir dann die spannende Geschichte von Charlotte Beaver. Damit du weißt, wie man von einem braven Londoner Mädchen zu einer wilden Maoribraut im tiefen Busch von Neuseeland wird.«

23.
    Lottys Geschichte
    Meine Familie war arm. Damit meine ich nicht, dass wir ein bisschen zu wenig Geld hatten und ich mir nicht jedes Kleid kaufen konnte, das mir gefallen hat – sondern dass wir neun Kinder mit meinen Eltern in einer einzigen engen Kammer in einem dieser stinkenden Häuser direkt an der Themse gewohnt haben. Diese Häuser, die nie wirklich trocken im Keller sind, in denen es immer zu sehr nach dem schlammigen Ufer der Themse stinkt, nach faulem Holz und verwesenden Fischen. Mein Vater hat am Hafen als Tagelöhner gearbeitet. Wenn es etwas zu tun gab, hatten wir genug zu essen – und wenn nicht, dann hatten wir Hunger. Meine Mutter war meistens schwanger – und hat als Näherin gearbeitet. Nicht bei den feinen Damen. Nein, sie hat die einfachen Kleider für die Dienstboten geschneidert. Billige Stoffe, die sie für wenige Pennys an unserem einzigen Fenster zusammengenäht hat. Ihre Augen wurden schlechter, und von den Bälgern, die mein Vater ihr ständig angehängt hat, hat nicht einmal die Hälfte überlebt.
    Ich hatte zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester. Die Jungs sind schon bald an den Hafen gegangen und haben Säcke geschleppt. Meine Schwester hat eine Anstellung als Dienstmädchen gefunden – und mich dann auch in das Haus eingeführt. Da war ich dreizehn Jahre alt – und habe in der Küche das erste Mal in meinem Leben jeden Tag eine warme Suppe bekommen. Das Paradies. Die Arbeit war hart, Ausgang selten, und doch: Es war warm. Ich bekam zwei Kleider zum Wechseln für meine Arbeit. Und im Winter sogar einen Wollmantel, mit dem ich mich bei meinen Botengängen für die Herrschaften warm halten konnte. Ich war so glücklich wie noch nie. Die Herrschaften – das war ein Ehepaar und ihre beiden Töchter, die etwa in meinem Alter waren. Die beiden Mädchen waren damit beschäftigt, ihre Erziehung zu vervollkommnen, also mussten sie ständig am Klavier üben, zum Tanzunterricht, Französisch beim Hauslehrer lernen oder zum Kurs für perfektes Benehmen. Sie hatten wenig anderes im Kopf als die Frage, mit welchem Mann sie irgendwann einmal ihr nutzloses Dasein weiterführen konnten. Mir war das egal. Sie waren freundlich zu mir, verlangten nichts Außergewöhnliches. Hin und wieder um Mitternacht noch eine Tasse Tee – aber ich hatte von vielen anderen Dienstmädchen gehört, die oft die ganze Nacht bereitstehen mussten. Ich hingegen wurde einfach nur mit einer Klingel gerufen.
    Dann wurde ich vierzehn, und es war Winter. Ein besonders harter, böser Winter, in dem die Themse einfror. Mein Vater und meine Brüder hatten keine Arbeit – einfach weil keine Schiffe mehr fahren konnten. Und meine Mutter hatte schon wieder ein Kind bekommen. Aber dieses Mal war es nicht so leicht wie sonst. Die Geburt hatte ewig gedauert – und als das Baby endlich da war, wurde sie krank. Wir waren uns nicht sicher, ob sie jemals aus dem Wochenbett wieder aufstehen würde. Ihre Arznei verbrauchte das Geld, das niemand verdiente – die wenigen Ersparnisse meiner Familie. Dann fing der Hunger an. Sicher, ich brachte mein ganzes Geld, das ich bekam, nach Hause. Aber ich sah, dass alle Hunger hatten. Vor allem meine Mutter, die immer dünner wurde …
    Was soll ich sagen? Ich wusste, dass es Unrecht war. Aber in der Küche lag immer genügend Brot herum. Ich habe auch nicht das frische Brot für die Herrschaften genommen. Sondern das Altbackene. Das Brot, das wahrscheinlich sowieso in einem Auflauf enden würde. Anfangs habe ich nur ein paar Scheiben genommen, bin damit abends zu meinen Eltern gerannt und brachte es ihnen. Dann etwas mehr. Und nach drei Wochen war ich mir sicher, dass niemand auch nur einen Happen vermisste. Da habe ich einen ganzen Laib genommen und unter meinem Rock verborgen. Kaum hatte ich die Küche verlassen, stand die Köchin vor mir, deutete auf mich und schrie: »Das ist die Diebin!« Als ob es dieser dicken Kuh an irgendetwas mangelte, wenn ich

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