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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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beteiligen sollte. Einer Aufforderung, der Anne gerne nachkam – sie wollte schließlich nicht die ganze Zeit nur auf das Meer starren und auf David warten. Außerdem hoffte sie auf irgendetwas Essbares, das nicht sofortige Übelkeit bei ihr hervorrief. Dieser Brei vielleicht – von dem sie sowieso nicht wusste, wo sie ihn hintragen sollte?
    Die kräftige Frau, die ihr die Schüssel in die Hand gedrückt hatte, deutete mit viel Theatralik in die Richtung von Oaoitis Haus. Dazu machte sie eine Bewegung, die wohl bedeuten sollte, dass Anne sich beeilen musste.
    Sie setzte sich in Bewegung und sah den Inhalt der Schüssel noch einmal genauer an. Auf dem Brei lagen ein paar Stücke Fisch, der offensichtlich einfach nur gedämpft worden war. Sie griff neugierig zu und steckte sich ein Stück in den Mund. Festes Fleisch, saftig und ganz frisch. Köstlicher Fisch, besser als alles, was sie in letzter Zeit gegessen hatte. Schnell steckte sie sich ein zweites Stück in den Mund. Und dann ein drittes. Noch bevor sie bei Oaoitis Haus angekommen war, hatte sie die Hälfte des Fisches verzehrt. Am Eingang des Hauses hielt sie ihm die Schüssel mit einer fragenden Miene entgegen, von der sie annahm, dass sie überall auf der Welt verstanden wurde.
    Er sah auf die Speise, runzelte die Stirn, holte aus und schlug ihr die Schüssel in einer einzigen schnellen Bewegung aus der Hand. Sie landete im Dreck. Noch während sie dem Fisch mit bedauernder Miene hinterhersah und sich fragte, ob er wohl keinen Fisch mochte, traf sie ein zweiter harter Hieb an der Schläfe. Anne taumelte und hielt sich erschrocken die schmerzende Stelle.
    »Was zum Teufel …?!«, rief sie halblaut.
    Zwecklos. Er schlug noch einmal zu, griff ihr in die offenen schwarzen Locken und zerrte daran. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, zog er sie an den Haaren auf den kleinen Platz vor seiner Hütte. Hier zwang er sie mit einer schnellen Drehung der Hand in die Knie und zückte ein Messer, mit dem er weit ausholte.
    Vor Angst verschlug es Anne die Sprache. Sie war sich kaum einer Schuld bewusst, die diesen Ausbruch an Gewalt in geringster Weise rechtfertigte. Was war nur in den Häuptling gefahren, der bis zu diesem Augenblick einen ziemlich besonnenen Eindruck auf sie gemacht hatte? Die Klinge des Messers bewegte sich in die Richtung ihrer Kehle – und endlich gelang es ihr, ihre Stimme wieder zu benutzen. »Hilfe«, japste sie erst leise. Dann lauter: »Hilfe!« Und schließlich mit aller Kraft, die ihre Lunge hergab: »So hilf mir doch einer!«
    Die umherstehenden Maori sahen sie nur aus ihren dunklen Augen an und rührten keinen Finger, um sie zu retten. Bis Anne aus dem Augenwinkel sah, wie sich eine helle, kräftige Gestalt näherte. Rote Haare. Rosa Haut, von der Sonne verbrannt. Aber Maorisprache, melodisch und in diesem Augenblick recht wütend. Die Frau sah aus wie eine Wilde, deren Vorfahren wohl Weiße waren. Während sie schimpfte und redete, ließ Oaoiti Annes Haar los und erlaubte ihr, dem Wortwechsel angespannt zu folgen. Nicht, dass sie etwas verstanden hätte. Aber die Wilde redete ohne Unterlass auf den Häuptling ein, und der nickte hin und wieder und ließ schließlich einfach komplett von Anne ab. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, lief zu seiner Hütte und gab der Schüssel, die noch vor wenigen Minuten sein Essen enthalten hatte, einen kräftigen Tritt.
    Dann herrschte Stille. Die Maori waren offensichtlich der Meinung, dass das Spektakel vorbei war, sie wandten sich ab und gingen wieder zu den Tätigkeiten zurück, die sie bis vor wenigen Minuten verrichtet hatten.
    Anne lag immer noch im Staub und wagte es erst langsam, ihren Blick zu heben und ihre Retterin genauer zu mustern. Wenn es keine rothaarigen Maori gab, dann musste diese Frau eine Engländerin sein. Oder eine Irin. Oder Schottin. Sie hatte lange, blassrote Haare, die ihr in langen Locken über den Rücken hingen. Ihr enormer Bauch und die noch gewaltigeren Brüste wurden von einem einfachen Kleid, wie es die Maori trugen, nur notdürftig bedeckt. Ihre kräftigen Oberarme waren von Sommersprossen übersät, genauso wie ihr breites Gesicht. Blassgrüne Augen funkelten Anne an.
    »Wie kann man nur so dämlich sein! Das Essen des Häuptlings ist natürlich tapu! Wie das Essen von jedem Ranghöheren natürlich auch. Aber ausgerechnet den Fisch von Oaoiti zu essen – wie dumm kann man denn nur sein!«, schimpfte sie. Der Dialekt machte klar, woher sie stammte: Irgendwo

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