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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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aus den schlechteren Vierteln von London, wenn Anne sich nicht irrte.
    »Ich habe das doch nicht gewusst«, erklärte sie kleinlaut.
    »Als ob die Maori sich vorstellen könnten, dass irgendjemand nicht weiß, was bei ihnen erlaubt ist und womit man ihre Götter, ihre Rangordnung oder ihr was auch immer verletzt. Merk’s dir. Nicht das Essen vom Häuptling essen! In England hättest du ja auch nicht das Essen der Herrschaft gegessen!«
    Anne hielt es in dieser Sekunde eher für unklug, der Frau zu sagen, dass sie Dienstmädchen gehabt hatte – und in der Tat ihnen verboten hätte, von ihrem Teller zu essen. Also nickte sie nur. »Ich werde es mir merken.« Dabei versuchte sie wenigstens, sich wieder auf die Knie aufzurichten.
    Die Frau reichte ihr die Hand und zog sie ohne große Umschweife auf die Beine. »Dürres Ding, an dir ist ja nichts dran«, bemerkte sie dabei missbilligend. »Ich heiße Lotty.«
    »Anne.« Die beiden Frauen schüttelten sich die Hände. »Und was hat dich hierher verschlagen? Ich habe dich in den letzten Tagen nicht gesehen, oder …?«, fragte Anne vorsichtig.
    »Zu viele Engländer unterwegs. Ich will nicht, dass mich jemand sieht, der weiß, dass nach mir gesucht wird. Nein, macht nur Ärger. Ich wollte unsichtbar bleiben, bis ihr alle weg seid. Das habe ich bestimmt vorgehabt. Aber ich konnte doch nicht zusehen, wie der dich abmurkst. Konnte ich doch nicht. Und wenn ich etwas sage, dann gehorcht er. Meistens zumindest.« Sie zog hörbar die Nase hoch.
    »Warum?« Anne merkte sofort, dass das irgendwie nicht sehr freundlich klang, und redete einfach weiter. »Ich meine, ich kenne diesen Oaoiti nicht, aber er macht auf mich nicht den Eindruck, als ob er auf irgendjemanden hören würde.«
    »Ich habe einen Sohn von ihm. Die Mutter eines zukünftigen Häuptlings hat schon irgendwie Gewicht.« Lotty klang stolz.
    Anne sah sich neugierig um. »Du hast einen Sohn hier? Wo steckt er denn?«
    »Der? Ist irgendwo auf der Jagd mit ein paar Männern vom Stamm. Ich glaube, der kommt erst in ein paar Tagen zurück. Weiß man nie so genau. Männer machen, was sie wollen.« Sie zog eine Schulter ein wenig hoch.
    »Auf der Jagd?« Anne hatte mit einem Kleinkind gerechnet. Nicht mit einem halbwüchsigen Mann. »Um Himmels willen, wie lange bist du denn schon hier?«
    Ein raues, kehliges Lachen war die Antwort. »Lange. Ich zähle die Sommer nicht mehr. Hier gehöre ich her, hier habe ich meine Heimat.« Sie machte eine Handbewegung, die wohl das ganze Dorf einschließen sollte. »Das hier ist meine Familie. Taugt mehr als meine Familie zu Hause.«
    Vorsichtig tastete Anne nach den schmerzenden Stellen, die ihr der Wutausbruch von Oaoiti eingebracht hatte. Sie zog eine Grimasse. »So weit bin ich wohl noch nicht.«
    »Ging mir am Anfang nicht anders«, sagte Lotty. »Es ist schwierig, ihr tapu zu begreifen – oder wie das Dorfleben funktioniert. Und leider sind sie nicht sonderlich freundlich, wenn man irgendeine ihrer Regeln verletzt. Ich hatte ja auch niemanden, der sich bemüht hat, mir auch nur irgendetwas beizubringen.« Sie schenkte Anne ein Lächeln, bei dem auffiel, dass schon eine ganze Menge ihrer Zähne fehlten. Anne versuchte insgeheim ihr Alter zu schätzen. Vierzig. Oder doch älter?
    Lotty deutete auf eine Hütte, die etwas abseits stand. »Da bin ich zu Hause. Komm erst einmal mit. Tut mir gut, mal wieder mit einer Frau aus meiner Heimat zu reden – das habe ich seit einer Ewigkeit nicht getan.« Ohne Annes Antwort abzuwarten, lief Lotty zur Hütte. Davor war eine Art Veranda, die sogar mit ein paar Blumen geschmückt war. »Setz dich!« Lotty zeigte auf die Veranda, auf der natürlich keine Stühle standen. Aber ein flacher Tisch, an den Anne sich mit untergeschlagenen Beinen setzte, während Lotty in der Hütte verschwand. Sie sah über den sandigen Platz direkt hinüber zu Oaoitis Haus. Dieser jähzornige Mann war der Vater von Lottys Sohn? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Küssen Maori? Wie sahen Zärtlichkeiten aus?
    Sie lächelte über ihre Gedanken. Die Zeit bei Jameson hatte sie gelehrt, dass Männer alle ähnlich sind. Wenn es darum ging, eine Frau zu besteigen, waren die Unterschiede nur noch gering. Wahrscheinlich traf das sogar auf Wilde am anderen Ende der Welt zu.
    Lotty kam wieder auf die Veranda und stellte vor Anne einen Becher mit einer trüben Flüssigkeit ab. »Hier, das wird dir schmecken!«
    Anne probierte vorsichtig. Es schmeckte frisch und herb. »Was

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