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Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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ein paar Kanten Brot mitgehen ließ!
    Aber sie bestand darauf, dass ich untersucht wurde. Rief die Polizei, als man das Brot bei mir fand. Und war glücklich, als ich direkt ins Gefängnis kam. Ich durfte mir nicht einmal Wäsche zum Umziehen holen, gerade noch meinen Wollmantel überwerfen – und dann war ich auch schon in Newgate. Ausgerechnet Newgate. Da hatte ein unschuldiges Dienstmädchen wie ich nun wirklich nichts verloren! Man hat mich mit anderen Frauen zusammengesperrt, in einem Raum ohne Fenster. Ein bisschen dreckiges Stroh war unser Bett, auf dem wir schlafen sollten. Kleine Kinder und Ratten krabbelten durch das Stroh. Es war kalt, dreckig und stank zum Himmel.
    Aber ich hatte Glück. In all diesem Dreck lernte ich Kitty kennen. Sie war ein paar Jahre älter als ich und hatte vor nichts Angst. »Was sollen sie uns schon antun? Uns in die Verbannung schicken?«, erklärte sie immer wieder. Um dann zu lachen und zu sagen: »Da sind wir dann Dienstmädchen und müssen hart arbeiten. Das unterscheidet sich in nichts von dem, was wir hier in London machen mussten. Vielleicht ist das Wetter etwas wärmer, und die Sonne scheint öfter – aber damit hätte ich keine Probleme!«
    Kitty war ein echter Lichtblick in diesem Loch. Blonde Locken, quirlig, voller Leben und mit Augen so blau wie eine Kornblume. So ganz anders als ich. Versteh mich nicht falsch – damals war ich nicht so kräftig wie heute. Ich war dürr wie eine Bohnenstange, und meine Haare waren genauso dünn und strähnig und rot, wie sie heute sind. Eine Schönheit war ich damals nicht und wäre ich wohl auch nie geworden, egal, was aus mir geworden wäre.
    Kitty und ich haben wochenlang auf unseren Prozess gewartet. Sie war eine Taschendiebin, ich hatte meine Herrschaft bestohlen – wir rechneten fest damit, dass wir eine ähnliche Strafe zu erwarten hatten: Verbannung. Das taten damals alle Richter in diesen Fällen. Frauen waren in den Kolonen selten, also hat man möglichst oft welche verurteilt und dahin geschickt. Selbst Sträflinge sollten nicht für immer ohne Frauen bleiben.
    Was soll’s. Vor den Toren von Newgate taute die Themse wieder auf, es wurde Frühling und schließlich sogar Sommer. Wir kämpften mit dem Hunger und gegen Läuse – und die einzige Frau, die sich um uns kümmerte, war unsere Elizabeth Fry. Eine reiche Frau, die immer mal wieder in unsere Räume kam und sich vor allem um die Kinder kümmerte. Sie war eine gute Seele. Uns hat sie das Lesen beigebracht, damit wir wenigstens selber in der Bibel lesen konnten. Hin und wieder gab es sogar etwas zu essen von ihr. Eine Heilige war sie – ganz bestimmt. Ich habe gehört, auf Mistress Fry soll sogar der König gehört haben. Kann aber auch ein Gerücht sein. Auf jeden Fall haben wir sie Engel genannt. Das war sie. Ganz bestimmt.
    Unser Gerichtsurteil wurde so schnell gesprochen, dass ich kaum etwas mitgekriegt habe. Der Richter hat nur mit gelangweiltem Gesicht zugehört, ein bisschen Dreck unter seinen Fingernägeln vorgeholt, ihn betrachtet und dabei ganz nebenbei jede von uns zu vier Jahren Verbannung mit Zwangsarbeit verdonnert. So, als ob es gar nichts wäre. Mein einziger Trost war damals, dass Kitty auf demselben Schiff nach Australien segeln sollte wie ich. Wir drängten uns also unter Deck aneinander. Es war nicht besser als Newgate: Zu viele Menschen auf zu wenig Raum, wieder Dreck, und die Läuse hatten wir dieses Mal sogar selber aus dem Gefängnis mitgebracht. Und dann waren auch noch Männer dabei, die seit Monaten keine Frau mehr gesehen hatten. Die grabschten in der Nacht nach uns, machten blöde Witze und boten sogar Geld, wenn wir uns nur mal ausziehen würden. Ekelhafte Kerle. Wir haben uns immer enger aneinandergedrängt und ihnen allen die kalte Schulter gezeigt. Oder bei der Grabscherei tüchtig auf die Finger geklopft. Viele von ihnen starben. Zu wenig zu essen – und dann brach auch der Typhus aus. Doch Kitty und ich, wir waren wie Unkraut. Uns konnte nichts kaputtmachen – wir kamen mager, aber gesund im Frühling 1806 in Australien an. Wurden mit einem kleineren Schiff noch den Fluss hochgefahren und landeten schließlich in Parramatta. Da war es: ein Frauengefängnis. Und eine Fabrik. Wir schliefen in einem riesigen Raum – und mussten froh sein, wenn wir einen Platz an der Wand ergatterten. Erst hier begriffen Kitty und ich, was so ein Frauengefängnis in Australien wirklich war: ein Markt für Frauen, bei dem sich die Offiziere,

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