Im Land des weiten Himmels
Ich werde zu unserem Gott und zum Gott der Weißen beten, um ein solches Unglück zu verhindern.« Er meinte es anscheinend ernst. »Etwas anderes können wir nicht tun. Ich weiß, wie mächtig diese Firmen sind. Sie nehmen keine Rücksicht … Weder auf die Natur noch auf die Menschen. Und schon gar nicht auf Indianer. Ich werde beten, Miss!«
Sie paddelten eine Weile nebeneinander her, dann sagte Hannah: »In eurem Dorf darf niemand davon erfahren. Wenn sich das herumspricht, kommt es zu einer Katastrophe, die Menschen werden verzweifelt sein und unüberlegte Dinge tun, das dürfen wir auf keinen Fall zulassen. Versprichst du mir, den Verdacht für dich zu behalten?«
»Es ist kein Verdacht. Ich weiß es.«
»Versprichst du es mir?«
»Ich verspreche es«, gelobte er feierlich. »Ich weiß, dass Sie nur das Beste für unser Volk wollen und alles tun werden, um die Holzfirma aufzuhalten. Sie sind eine starke Frau. Sie haben den Zauber, der nötig ist, um ein solches Unglück zu verhindern. Hätten Sie mir sonst auf dem Schiff geholfen? Ich weiß, der Häuptling glaubt, dass Sie die bösen Geister an den Gold River gelockt haben, aber das stimmt nicht. Eines Tages wird er Ihren Zauber erkennen, und dann wird man Sie in unserem Dorf als weise Frau empfangen.«
Seine so feurig wie ernst vorgetragenen Worte klangen nach einer Liebeserklärung und verstörten Hannah, doch sie ließ sich nichts anmerken, sagte: »Auf bald, Graubär. Pass auf dich auf!« Sie tauchte die Ruder wieder ins Wasser.
30
Mit dem Herbst kam die Leere. Wolken verdeckten die Sonne. Kühler Wind wehte die letzten bunten Blüten von den Wiesen. Die Laubbäume verfärbten sich und leuchteten noch einmal in voller Farbenpracht, doch vereinzelt fielen bereits die Blätter und kündigten den nahen Winter an. Die Natur verlangsamte ihr Tempo. Die Tiere bewegten sich träger, die Pflanzen stellten ihr Wachstum ein, und selbst der Gold River schien plötzlich behäbiger zu fließen. Unglaubliche Stille machte sich breit, nur durchbrochen vom klagenden Jaulen des Huskys, das in der tiefen Einsamkeit verloren und melancholisch klang.
Hannah kämpfte tapfer gegen die Wehmut an. Sie fühlte sich allein und einsam, nicht mehr so befreit wie nach ihrer Ankunft in Alaska und beim Anblick des weiten Landes, der schroffen Berge und der bunten Blumenteppiche. Vergeblich wartete sie auf einen Besucher, den Häuptling zum Beispiel, oder auch nur auf die Ankunft des Lastkahns. Schwester Becky ließ sich nicht blicken, seit Hannah hier oben war. Auch Fallensteller waren nur ein paarmal vorbeigekommen, um bei ihr zu übernachten, und der Postreiter hätte längst da sein müssen. Am meisten aber vermisste sie Frank, der sie wohl doch vergessen zu haben schien. Allmählich würde sie sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass sie ihn für immer vertrieben hatte mit ihrem widerborstigen Benehmen.
Nachdem sie einige Tage Trübsal geblasen hatte, beschloss sie, etwas gegen die Wehmut zu unternehmen. Sich jeden Tag in Selbstmitleid zu ergehen und vor lauter Kummer zu verkriechen, brachte nichts. Verzweifelte Tränen brachten weder den Häuptling noch Frank zurück. Was nützte es, jeden Morgen auf die Veranda zu treten und den Himmel nach der roten Maschine abzusuchen? Was brachte es, am Anlegesteg zu stehen und über den Fluss zu blicken, wenn weit und breit kein Kanu zu sehen war? Solange sie beim Haus blieb und sich ihren quälenden Gedanken ergab, lasteten die Stille und Leere zu schwer auf ihrer Seele.
»Genug gefaulenzt!«, scheuchte sie den Husky an einem trüben Vormittag auf, nachdem sie für eventuelle Gäste einen Kuchen gebacken hatte. »Wenn ich den ganzen Tag herumsitze und wie ein liebeskranker Teenager aus dem Fenster blicke, und du wie ein Schoßhündchen in deiner Ecke liegst und nicht einmal mehr schaffst, eine Maus zu fangen, sollten wir langsam etwas für unsere Ausdauer tun. Die werden wir noch dringend nötig haben, wenn die Winter hier wirklich so streng sind, wie die Leute sagen. Wie wär’s mit einem Ausflug, Captain?«
Der Husky ließ keine große Begeisterung erkennen, doch er folgte Hannah willig zum Waldrand. Sie trug ihr Gewehr über der Schulter, für alle Fälle, und hatte ihre gefütterte Winterjacke und die Fellmütze mit den Ohrenschonern angezogen. Obwohl die Sonne als heller Fleck hinter den Wolken stand, war es empfindlich kühl.
Sie folgte einem der kaum sichtbaren Indianerpfade durch den Fichtenwald, schritt so zügig aus,
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