Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
Vom Netzwerk:
nach Fairbanks zurück.«
    Die Männer tauschten unsichere Blicke. Mit einer solchen Ankündigung hatten sie wohl nicht gerechnet. Einer sagte etwas in seiner Muttersprache, ein anderer antwortete, ein Dritter blickte sich zum Dorf um und zuckte gleichgültig die Achseln. Ihm war anscheinend schon vorher nicht wohl bei der Sache gewesen. Er sagte etwas, das wie ein Befehl klang, und paddelte zur Seite.
    Die anderen folgten seinem Beispiel und blickten betreten in eine andere Richtung, als Hannah ihr Ruderboot zwischen ihnen hindurchlenkte und auf das Sommercamp zuhielt. Schon aus der Ferne waren die vergnügten Schreie der spielenden Kinder zu hören. Sie wussten noch nicht, in welche Welt sie hineingeboren worden waren und welche Probleme auf sie warteten. Eine weiße Frau war ihnen genauso willkommen wie eine Frau ihres eigenen Volkes.
    Die Kinder halfen ihr sogar, das Ruderboot in den Ufersand zu ziehen, nachdem sie ausgestiegen war, und warteten auf die Geschenke, die sie in dem Leinenbeutel der Besucherin vermuteten. Hannah öffnete die Tüte und gab jedem der Kinder eine Zuckerstange, beobachtete zufrieden, wie sehr sie sich über die kleine Geste freuten. Erst dann wandte sie sich der Hütte des Häuptlings zu.
    Chief Alex stand vor der Tür, blickte ihr mit beinahe ausdrucksloser Miene entgegen und hieß sie willkommen. Den toten Raben erwähnte er mit keinem Wort. Selbst wenn in den alten Zeiten ein Todfeind ihr Dorf betreten hatte, war man gezwungen gewesen, ihm ein Nachtlager und eine Mahlzeit anzubieten und ihm während seines Aufenthalts kein Leid anzutun. Das hatte sich nicht geändert. Auch die Goldsucher, die ihren Frauen zu nahe getreten waren, hätten sie freundlich empfangen. »Ich heiße dich willkommen, weiße Frau.«
    Hannah spürte, wie Wut in ihr hochstieg, angesichts der Heuchelei. Dieser Mann hatte versucht, sie einzuschüchtern. Erst der tote Vogel, dann die Blockade. Und er stand hier seelenruhig, als wäre nichts geschehen. »Einige deiner Männer wollten mich daran hindern, euer Dorf zu besuchen. Ich nehme an, sie haben mich verwechselt und für eine Feindin eures Volkes gehalten. Ich habe ihnen gesagt, dass ich eure Nachbarin und Freundin bin und Kekse für die Kinder und ein Päckchen für Dorothy dabeihabe. Der Postreiter hat es mir gegeben.«
    »Solange du dich in unserem Dorf aufhältst, bist du uns willkommen«, erwiderte Chief Alex. »Sobald du es verlassen hast, würde ich dir raten, dich vorzusehen. Die Angst meines Volkes vor den bösen Geistern ist groß.«
    »Hier gibt es keine bösen Geister, Chief Alex. Ich habe selten ein friedlicheres Land als Alaska gesehen. Du solltest New York erleben, die Stadt, aus der ich komme. Dort wohnen über fünf Millionen Menschen auf kleinstem Raum. In ganz Alaska gibt es nicht so viele Menschen. In New York habe ich böse Geister gesehen, deshalb habe ich die Stadt verlassen. Ich bin auf der Suche nach einer friedlichen Zukunft, und hier am Gold River glaube ich sie gefunden zu haben. Hier kann man selbst die Stille hören, so friedlich ist es.«
    Wenn der Häuptling beeindruckt von ihrem Mut und ihren Worten war, zeigte er es nicht. »Komm in mein Haus und iss!«, lud er sie ein. Nicht einmal der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf seinem Gesicht. »Und lerne meine Familie kennen!«
    Sie betrat das Blockhaus, das aus einem einzigen großen Raum bestand, darin mit Decken abgehängte Schlafquartiere, und begrüßte die Verwandten des Häuptlings, seine Frau, seine Tochter und deren Ehemann und seine Schwiegereltern. Sie saßen vor dem bulligen Kanonenofen auf dem mit Fellen ausgelegten Boden. Einen Tisch und Stühle gab es nicht, lediglich einen Küchenschrank, einen Herd und eine Kommode, in der sie wohl ihre Kleider und die Wäsche aufbewahrten. In einer Schachtel lagen eine Zeitung und ein zerfleddertes Bilderbuch.
    Hannah betrachtete die Anwesenden mit unverhohlener Neugier. Die wettergegerbten Gesichter, die dunklen, seelenvollen Augen. Wie sehr wünschte sie, hier willkommen zu sein. Aber so war es nun einmal nicht. Sie gab sich ungerührt, legte die Tüte mit den übrigen Zuckerstangen auf den Boden. Weil sie inzwischen wusste, wie großen Wert die Indianer auf Etikette legten, blieb sie stehen, bis Chief Alex sich vor den Ofen gesetzt hatte. Minutenlang hörte man nur das Kauen der Verwandten, die immer wieder nach den Keksen griffen, dann sagte der Häuptling: »Der Sommer ist vorüber. Das nächste Mal wird der Postreiter den

Weitere Kostenlose Bücher