Im Land des weiten Himmels
mit spöttischem Unterton. »Du hast dich nicht von mir verabschiedet, als ihr in dieses Dorf gezogen seid. Ich hätte den Frauen helfen können.«
»Ich hoffte, du hättest meinen Rat befolgt und das Tal verlassen.«
Hannah ließ sich auf den kleinen Schlagabtausch ein. »Ich hatte Angst vor den bösen Geistern, die in der Stadt auf mich warten könnten. Seitdem ich hier draußen lebe, ist mir selbst Fairbanks unheimlich geworden, von New York will ich gar nicht reden.« Sie beobachtete, wie Adam seine Schneeschuhe abschnallte und in den Schnee steckte, und tat es ihm nach.
»Dürfen wir reinkommen? Es ist furchtbar kalt hier draußen, und ich habe einen anstrengenden Marsch hinter mir.«
»Verzeih mir, weiße Frau.« Chief Alex trat zur Seite und bat sie und Adam ins Haus. Da es keine Fenster hatte und nur eine schummrige Öllampe auf dem Tisch brannte, wirkte es eher wie eine Höhle. Es war etwas geräumiger als das Haus am Fluss und komfortabler eingerichtet. Außer dem einfachen Holztisch mit vier Stühlen gab es einen Herd, der gleichzeitig als Ofen diente, einen mindestens zwanzig Jahre alten Küchenschrank und eine baufällige Kommode, einige Felle trennten auch hier die Nachtlager vom Wohnraum.
Neben dem Häuptling hielten sich nur dessen Frau, seine Tochter und sein Schwiegersohn und eine alte Frau, die Hannah bisher noch nicht gesehen hatte, in dem Haus auf, aber nach der Anzahl der Felle im Schlafraum mussten wenigstens zehn Personen in der Hütte übernachten. Sie wartete, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, und begrüßte die Bewohner mit einem Kopfnicken. Sie reagierten zurückhaltend, aber nicht feindselig. In den Augen der Häuptlingstochter glaubte sie ein freundliches Funkeln zu erkennen.
»Dorothy hat nach der weißen Frau gerufen«, sagte Adam zu allen Anwesenden, aber seine Worte waren vor allem an den Häuptling gerichtet. »Ich weiß, ich hätte euch erst fragen sollen. Doch welche Antwort hättet ihr mir gegeben? Die Goldgräber, die so großes Leid über euer …, über unser Volk brachten, haben eure Herzen hart werden lassen. Ich habe lange genug bei den Weißen gelebt, um erkennen zu können, wessen Herz für uns schlägt. Das Herz dieser Frau, deren Freundschaft wir ausgeschlagen haben, schlägt für uns. Als ich ihr sagte, dass die kleine Dorothy nach ihr gefragt hat, zog sie sofort ihre Schneeschuhe an und kam mit. Welche weiße Frau hätte das sonst getan, frage ich euch?«
Die Worte erzeugten die Wirkung, die Adam wohl beabsichtigt hatte. Die meisten Bewohner senkten die Köpfe und sahen betreten drein, und Chief Alex versteckte sich hinter einer undurchschaubaren Miene und sagte: »Dorothy liegt in ihren Decken. Geh zu ihr.« Er zog die Felle beiseite und gab den Blick auf das Mädchen frei.
Dorothy lag auf einer Matratze, mehrere Wolldecken bis zum Hals hochgezogen, und lächelte ihr entgegen. Ihr Gesicht war gerötet, ihre Augen glänzten fiebrig. »Dorothy!«, begrüßte Hannah das Mädchen. »Sieh mal, was ich dir mitgebracht habe!« Sie zog das Glas mit den Schokokeksen aus dem Leinenbeutel und hielt es in den Lichtschein. »Die beste Medizin der Welt!«
»Hannah!«, flüsterte sie.
»Und das ist für euch«, sagte sie und reichte der Frau des Häuptlings den Beutel mit den Lebensmitteln. »Würdest du etwas Tee für Dorothy kochen?«
»Den hab ich ihr schon gegeben«, sagte Dorothys Mutter.
»Dann schmecken die Kekse besser.« Hannah merkte, dass die Mutter ein wenig eifersüchtig war, und wollte sich nicht als besserwisserische Weiße aufspielen. Sie zog das Aspirin aus ihrer Jackentasche. »Ich hab die Medizin dabei, die Schwester Becky euch gibt, wenn ihr krank seid.«
Sie setzte sich neben dem Nachtlager des Mädchens auf den Boden und legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Nicht schlimm«, sagte sie, »in ein paar Tagen kannst du wieder mit den anderen im Schnee spielen.« Sie blickte auf den Teddy im Arm des Mädchens. »Wie heißt er noch mal? Darling, nicht wahr?«
Dorothy nickte schwach. »Darling ist auch krank.«
Hannah berührte den Bär und tat erschrocken. »Tatsächlich! Dann wird’s aber höchste Zeit, dass wir etwas dagegen unternehmen.« Sie nickte dankbar, als ihr die Frau des Häuptlings einen Becher mit warmem Tee reichte, und gab etwas von dem Aspirin-Pulver hinein. »Was meinst du, Dorothy? Wollen wir Darling auch etwas von deiner Medizin abgeben? Sie tut ihm bestimmt gut.«
Das Mädchen nickte wieder.
»Aber zuerst
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