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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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zweimal sagen. Sie rannten so plötzlich los, dass Hannah beinahe das Gleichgewicht verlor und ihre Hände gerade noch rechtzeitig um den Haltegriff schließen konnte. So schnell wie auf keiner anderen Trainingsfahrt stoben sie aus dem Dorf und über den festgestampften Trail dem Waldrand entgegen. Noch bevor der steile Pfad begann, stieg Adam vom Schlitten, und sie halfen dem Gespann, die Steigung zu erklimmen. Beide Hände an den Haltestangen und leicht gebückt, um besseren Halt zu haben, schoben sie den Schlitten nach oben. Die Hunde gaben ihr Bestes, hätten es vielleicht auch ohne Hilfe geschafft, sollten sich aber nicht schon am frühen Morgen verausgaben.
    Bis zu ihrem Roadhouse lenkte Hannah den Schlitten. Am Horizont zeigten sich bereits die ersten hellen Streifen, schafften es aber nicht, die Dunkelheit vollständig vom Himmel zu verdrängen. Im nebligen Zwielicht trieb sie das Gespann am Waldrand entlang, stets darauf bedacht, im Schatten der Bäume zu bleiben, wo der Schnee nicht so tief wie unterhalb der Hügel war. »Sehr gut, Kobuk!«, lobte sie den Leithund. »Weiter so, ihr Lieben! Vorwärts!« Wie von selbst glitten die eingefetteten Kufen des Schlittens über den trockenen Schnee, wirbelten lange Schleier auf, die sich nur langsam senkten.
    Vor ihrem Haus legten sie eine kurze Pause ein. Hannah hängte einen Zettel mit der Aufschrift »Bin heute Abend (Dienstag) zurück. Essen steht auf dem Herd. Bitte Holz nachlegen!« an den Nagel neben der Haustür und wollte Captain mit ein paar freundlichen Worten trösten, doch ihr Husky war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich beleidigt im Wald verkrochen.
    Auf dem zugefrorenen Fluss stieg Adam auf die Kufen, und Hannah machte es sich auf den Decken bequem. Das Karibufell zog sie sich bis zum Hals. Sie hielt sich mit beiden Händen am Schlitten fest und genoss die rasante Fahrt über das vom Wind blank gefegte Eis, musste aber aufpassen, wenn es über eine der zahlreichen Unebenheiten ging. Wie die Landschaft eines fernen Planeten lag der zugefrorene Fluss vor ihnen, eine magische Welt, aber auch gefährlich und voller Tücken, wenn man mit dem Hundeschlitten unterwegs war. Oft bildeten sich Pfützen über dem Eis, Wasser setzte sich an den Pfoten der Huskys fest und ließ sie gefrieren, und an manchen Stellen war das Eis so glatt, dass die Hunde oder der Schlitten ungewollt ausbrachen und Gefahr liefen, gegen eine der schroffen Eisformationen zu knallen. Dagegen waren selbst die erfahrenen Musher bei den Hundeschlittenrennen nicht gefeit.
    Adam schien genau zu wissen, wohin er fahren wollte. Mit aufmunternden Zurufen trieb er die Huskys an. Trotz der vielen Gefahren waren die Hunde auch auf dem vereisten Fluss in ihrem Element, immer bereit, bis an die Grenzen ihrer Kraft zu gehen und die Bewegung in der Eiseskälte zu genießen. Hannah gefiel es auf dem Schlitten. Sie erfreute sich am rasanten Tempo der Hunde, ihren rhythmischen Bewegungen und dem Spiel ihrer ausgeprägten Muskeln. Über ihnen war es noch heller geworden. Fast schien es, als wäre die düsterste Winterzeit um, als schaffte es der Tag bereits, die Nacht zu besiegen.
    Sie rasteten oberhalb des Flusses am Waldrand. Die Brötchen waren etwas trocken, aber zusammen mit dem heißen Tee durchaus zu genießen, und der Elchschinken war herzhafter und besser als jeder andere Schinken, den sie in New York jemals gegessen hatte. Der Wind war abgeflaut, oder es kam ihnen nach der Fahrt nur so vor, und selbst die Kälte war nicht mehr so unerbittlich wie vor ihrem Aufbruch.
    »Du bist eine gute Musherin«, sagte Adam zwischen zwei Bissen.
    »Ich komme langsam zurecht«, erwiderte sie.
    Sie saßen nebeneinander auf dem Schlitten, das Karibufell über den Beinen, für einen Augenblick hatte Hannah das Gefühl, er werde gleich einen Arm um sie legen, und duckte sich unter seiner Bewegung, stellte aber zu ihrer Erleichterung fest, dass er nur die Decken richtete. Doch in seinen Augen stand geschrieben, was er wirklich für sie empfand: eine jugendhafte Zuneigung, die er höchstwahrscheinlich für Liebe hielt und die er nur schwer unterdrücken konnte. Vielleicht hätte ich doch nicht mit ihm fahren sollen, dachte sie.
    Sie spülte den letzten Bissen mit einem Schluck Tee hinunter, reichte ihm die Flasche und stand auf. »Lass uns umkehren, Adam.«
    »Hannah … Ich wollte dir etwas sagen«, sagte er heiser.
    »Ich weiß, was du mir sagen willst, Adam.«
    »Hannah, ich …«
    »Bitte nicht!«

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