Im Land des weiten Himmels
Sie legte rasch einen Finger auf seinen Mund. »Lass uns aufbrechen. Es wird bald dunkel, und wir haben einen weiten Weg vor uns.«
Adam fügte sich widerwillig in sein Schicksal und wandte sich rasch ab, wahrscheinlich, damit sie seine Tränen nicht sah. Er setzte sich auf den Schlitten und hüllte sich in die Decken und das Karibufell. Mit starren Augen blickte er auf den Fluss hinaus. »Du bist dran, Hannah!«, sagte er viel zu leise. »Immer am Fluss entlang.«
Hannah hegte Mitleid mit dem Jungen, wusste aber auch, dass jedes Wort die Lage nur verschlimmert hätte. »Kobuk!«, scheuchte sie den Leithund auf. Alle Huskys hatten sich im Schnee zusammengerollt. »Wir müssen weiter!«
Wütend auf sich selbst, weil der peinliche Wortwechsel vielleicht zu vermeiden gewesen wäre, wenn sie auf den Ausflug verzichtet hätte und nicht so lange mit ihm allein gewesen wäre, trieb Hannah das Gespann am Steilufer entlang durch den Schnee. »Heya! Heya! Vorwärts!«, rief sie, immer noch wütend. »Nicht so langsam!«
Später würde sie sich Vorwürfe machen, in ihrer aufgebrachten Stimmung unvorsichtig gewesen zu sein, doch sie konnte wenig dafür, dass plötzlich keine fünfzig Schritte vor ihnen ein Elch aus dem Wald brach. Etwas Schlimmeres, hatte Adam sie immer gewarnt, konnte einem Musher nicht passieren. Huskys hatten eine Heidenangst vor Elchen, mehr als vor Bären, weil sie ihnen mit den auskeilenden Vorderhufen schwere Verletzungen beibringen konnten. Dieser stand nur da, schien ebenso erschrocken zu sein wie sie und verschwand gleich wieder, aber da war das Unglück schon geschehen.
Die Hunde waren nach links ausgebrochen und flohen in den Wald, der Schlitten kippte, und Hannah flog in den Schnee, Adam wurde quer über den Trail geschleudert und stürzte über den Rand des Steilufers. Hannah versuchte noch, sich an einem Haltegriff des Schlittens festzuhalten, kam aber mit ihrem ausgestreckten Arm nicht einmal in dessen Nähe und blieb liegen. »Adam!«, rief sie verzweifelt. Und dann »Kobuk! Bleib hier!« und »Adam! Mein Gott, Adam!«
Sie stemmte sich vom Boden hoch, stellte dankbar fest, dass sie in eine Schneewehe gefallen war und sich kaum wehgetan hatte, und lief zum Steilufer, sah Adam auf halber Höhe im Schnee liegen. Er war bei Bewusstsein und stöhnte laut. Sie kletterte zu ihm hinunter. »Adam! Adam! Bist du okay?«
Er verzog das Gesicht. »Ich hab mir den Fuß verstaucht!«
»Das kriegen wir wieder hin! Komm, ich helfe dir!«
»Wo ist der Schlitten? Ist den Hunden was passiert?
»Sie sind mir durchgegangen«, erwiderte Hannah. »Lass dir erst einmal helfen, dann suche ich den Schlitten.« Sie beugte sich zu ihm hinunter und reichte ihm beide Hände. »Halt dich fest, und stütz dich mit dem gesunden Fuß ab! Ich ziehe dich hoch.« Sie packte ihn und zog ihn langsam nach oben.
Er kam auf seinem verletzten Fuß auf und schrie vor Schmerz, verlagerte das Gewicht rasch auf den anderen Fuß und hielt sich mit beiden Händen an Hannah fest. In diesem Augenblick war er ihr näher als je zuvor, für einen Sekundenbruchteil war sein Mund sogar dicht vor ihrem, aber weder sie noch er bemerkten es. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um ihn das Steilufer hochzuziehen, und er hatte viel zu große Schmerzen, um etwas anderes zu fühlen.
Unter größter Anstrengung schaffte sie es, ihn unter einen besonders großen Baum zu führen. Während er sich mit dem Rücken dagegenstemmte, breitete sie einige der Decken, die vom Schlitten gefallen waren, darunter aus, und er ließ sich langsam darauf hinabsinken. »Ich finde den Schlitten«, versprach sie ihm selbstbewusst, »in dem Wald können sie noch nicht weit sein.«
»Es sei denn, sie sind ins Dorf zurückgelaufen«, befürchtete er.
»Ich finde ihn. Hältst du so lange durch?«
»Hab ich eine Wahl?«
Sie folgte den Spuren der Hunde in den Wald hinein und hatte das Glück, dass sich der Schlitten auf die Seite gelegt hatte und die Hunde damit kaum vorwärtskamen. Schon nach einer Viertelmeile hatte er sich zwischen zwei Fichten verkantet und den Hunden, die sich in ihren Leinen verfangen hatten, war nichts anderes übrig geblieben, als auszuharren.
Hannah hörte sie schon von Weitem heulen und jaulen. »Da seid ihr ja!«, begrüßte sie die Huskys. »Und wir dachten schon, ihr wärt bis nach New York gelaufen. Aber so gemein seid ihr nicht, oder? Ihr lasst uns nicht im Stich.«
Sie zog den Schlitten zwischen den Bäumen hervor und richtete das Gespann
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