Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
Vom Netzwerk:
vorzustellen, sie lächelte nur und sagte: »Gute Nacht, Abbie.«

7
    Weil Hannah und die Farnworths in Chicago nur eine Stunde zum Umsteigen hatten und der Dieb geständig war, gab sich die Polizei mit einer mündlichen Zeugenaussage zufrieden. Ihnen blieb genug Zeit, mit einem Taxi zur neuen Union Station zu fahren und dort in den wartenden Pacific Limited zu steigen. Hannah bot zwar an, ihren Teil des Fahrpreises zu bezahlen, war aber erleichtert, als Farnworth abwinkte.
    Der Service in ihrem neuen Zug war nicht so exklusiv wie im 20 th Century, im Lounge Car servierte man keine alkoholfreien Cocktails mit ausgefallenen Namen, und die Sandwiches waren weniger üppig belegt, doch die Wagen waren die gleichen und unterschieden sich nur in der Farbe der Polster und der Vorhänge von dem Luxuszug. Hannah und die Farnworths hatten im selben Wagen reserviert, waren jedoch durch eine Familie mit zwei Kindern getrennt, die schon vor der Abfahrt ungeduldig auf ihren Sitzen herumrutschten. »Wie lange dauert es, bis wir in Oakland sind?«, fragte der kleine Junge.
    »Noch dreimal schlafen, dann sind wir bei Oma und Opa«, sagte die Mutter. »Schaut aus dem Fenster, da gibt es unterwegs viel zu sehen, vielleicht sogar Büffel und Antilopen. Wisst ihr eigentlich, wie die aussehen?«
    Hannah konnte sich nicht vorstellen, dass es noch Büffel gab, die waren von weißen Jägern ausgerottet worden, hatte sie mal jemanden sagen hören. Stattdessen sah sie die Hochhäuser der Innenstadt und den riesigen Lake Michigan in der Ferne, als sie aus dem Bahnhof und über ein Gewirr von Gleisen nach Westen fuhren. Außerhalb der Stadt breiteten sich endlose Felder aus, und die einzigen Tiere, die sie sah, waren einige Milchkühe und die Schweine, die ein halbwüchsiger Junge über einen Feldweg trieb. Die Sonne schien von einem beinahe wolkenlosen Himmel herab, ließ die roten Scheunen inmitten der Felder leuchten und kündigte den nahen Sommer an.
    Am späten Nachmittag tauchte Abbie bei Hannah auf. Sie hatte sich umgezogen, trug jetzt ein taubenblaues Kostüm und einen dazu passenden Hut. Auf ihre teure Halskette hatte sie verzichtet, vermutlich aus Angst, einen weiteren Dieb anzulocken. »Mein Mann und ich würden Sie gerne zum Dinner einladen, Hannah«, sagte sie. »Würden Sie uns in den Speisewagen begleiten?«
    Hannah sagte erfreut zu und genoss es außerordentlich, an einem der weiß gedeckten Tische zu sitzen und von einem Ober bedient zu werden. Sie selbst hatte auf der bisherigen Fahrt den Lounge Car gemieden und meist ihren mitgebrachten Proviant verzehrt.
    Das Essen war köstlich und von den Köchen im Speisewagen frisch zubereitet worden, wie der Ober betonte. Seine gestärkte weiße Uniform bildete einen deutlichen Kontrast zu seiner schwarzen Haut. Hannah bestellte gebackene Forelle mit buntem Gemüse, ein Gericht, das sie erst einmal in ihrem Leben gegessen hatte, in der alten Heimat in Württemberg, und zum Nachtisch Apple Pie mit Vanilleeis und Schlagsahne. Sie war so hungrig, dass sie es nur mühsam schaffte, das Essen nicht in sich hineinzuschlingen. »Vielen Dank für die Einladung«, sagte sie, als sie beim Kaffee angelangt waren. »Das Essen war hervorragend.«
    »Oh, das hatten Sie sich verdient«, erwiderte Abbie. »Immerhin haben Sie verhindert, dass man mir eine wertvolle Kette stiehlt, nicht wahr, Joseph?«
    Joseph Farnworth war mit seinen Gedanken wieder ganz woanders, und er blickte überrascht auf. »Wie? Ja, natürlich … Du hast völlig recht, Abbie.«
    »Da sehen Sie’s«, fuhr Abbie fort, »das ist wieder mal typisch für Joseph. Ständig denkt er an seine Geschäfte. Als ob es nichts anderes auf der Welt als Arbeit gäbe. Er hatte nicht einmal Zeit, mit mir die Freiheitsstatue zu besichtigen, die habe ich nur aus der Ferne gesehen, und über die Brooklyn Bridge musste ich alleine gehen. Er kann einfach nicht ausspannen.«
    »Ich bin Unternehmer«, antwortete er. Er hatte auf den Nachtisch verzichtet und hielt sich an den starken Kaffee. »Wenn ich nicht ständig an meine Arbeit denken würde, wären wir schon längst bankrott.« Er zog eine Zigarre aus seiner Brusttasche, biss die Spitze ab und ließ sich von dem aufmerksamen Ober Feuer geben. »Wir waren nicht zum Vergnügen in New York«, sagte er, an Hannah gerichtet. »Ich habe dort Anteile an mehreren Papierfabriken erworben, mit den Betriebsleitern gesprochen und über den Holztransport von San Francisco und Seattle an die Küste verhandelt. Das

Weitere Kostenlose Bücher