Im Land des weiten Himmels
Handtasche, da tue ich sie jeden Abend hinein, das weißt du doch.« Sie kramte in der offenen Tasche, wurde immer nervöser, nahm einen Schlüssel, einen Lippenstift und weitere Schminksachen, stülpte die Tasche schließlich ganz um und blickte entsetzt auf. »Sie ist weg! Die Kette ist weg!«
»Bist du sicher?« Jetzt wurde auch ihr Mann nervös.
»Sie war in meiner Handtasche, das weiß ich genau! Es muss mich tatsächlich jemand bestohlen haben. Wie ist das möglich, Joseph? Hier im Zug …«
Hannah berichtete noch einmal, was sie gesehen hatte.
»Na, das werden wir gleich haben!« Ohne daran zu denken, dass eine junge Dame vor ihm stand, stieg Joseph Farnworth aus seiner Koje, griff nach seinem Morgenmantel, schlüpfte in seine Hausschuhe und stapfte davon.
Der Schaffner folgte ihm hastig. »Seien Sie vorsichtig, Sir! Der Mann ist vielleicht bewaffnet! Außerdem haben Sie keine Befugnis, ihn festzunehmen! Warten Sie, bis ich den Hauptschaffner geholt habe. Ich bin nur der Schlafwagen-schaffner und habe ebenfalls keine … Wo wollen Sie denn hin, Sir?«
»Ich will ihn nicht festnehmen und habe auch keine Lust, mir Ihre albernen Belehrungen anzuhören«, erwiderte Farnworth, ohne sich umzudrehen. »Ich will diesem Burschen lediglich die Kette abnehmen. Der soll mich kennenlernen, der miese Dieb! Die teure Halskette!«
Inzwischen war auch Abbie Farnworth aufgestanden. Hannah half ihr in den Morgenmantel und folgte ihr aufgeregt. Am Ende des Wagens riss Joseph Farnworth bereits die Verbindungstür auf und stürmte in den nächsten Wagen. Der Schaffner war so dicht auf seinen Fersen, als wollte er sich hinter seinem breiten Rücken verstecken.
Als Hannah und Abbie die Koje des jungen Mannes erreichten, hatte Joseph Farnworth bereits den Vorhang aufgerissen und ihn am Kragen gepackt. »Sie haben meine Frau bestohlen!«, fuhr er ihn an. »Geben Sie’s zu, Sie gemeiner Dieb, und rücken Sie die Halskette raus, sonst schlage ich Sie windelweich, bevor ich Sie an die Polizei ausliefere! Wo haben Sie die Kette?«
»Welche Kette? Sie müssen mich verwechseln, Sir!«
Ohne seinen Griff zu lockern, drehte sich Farnworth um. »Ist das der Mann, der die Halskette meiner Frau gestohlen hat?«, fragte er Hannah.
»Ja, Sir. Ich habe es genau gesehen.«
»Da hören Sie es!«, fauchte Farnworth den Dieb an. »Die junge Dame hat Sie auf frischer Tat ertappt! Damit haben sie wohl nicht gerechnet, was?«
»Aber sie irrt sich! Ich war die ganze Zeit in meiner Koje!«
Hannah trat neben den Schaffner, der sich sichtlich unwohl in seiner Haut fühlte und anscheinend nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. »Sehen Sie in seinem Morgenmantel nach. Die Kette muss in der rechten Tasche sein.«
Farnworth ließ den jungen Mann aufs Bett zurückfallen und riss den Morgenmantel vom Haken. Beide Taschen waren leer. »Da ist nichts«, fuhr er Hannah an. »Sind Sie vollkommen sicher, dass er die Kette gestohlen hat?«
»Ich täusche mich nicht, Sir.«
»Und wo ist die Halskette?«
Hannah sah etwas Glitzerndes unter dem Kissen hervorragen, beugte sich an dem jungen Mann vorbei in die Koje hinab und zog die Halskette hervor. Sie reichte das Schmuckstück der überglücklichen Abbie. »Das ist sie doch …«
»Ja, das ist sie! Das werde ich Ihnen nie vergessen, Hannah!«
Farnworth zog den blass gewordenen Dieb so heftig aus der Koje, dass er mit der Stirn gegen einen Pfosten stieß und beinahe das Bewusstsein verlor. »Gibt es einen verschließbaren Raum im Zug?«, fragte er den Schaffner.
»Einen Käfig im Gepäckwagen … für mitreisende Tiere.«
»Optimal«, erwiderte Farnworth und schob den Schaffner zur Verbindungstür. »Zeigen Sie mir den Weg, aber schnell! Ich hab vor, noch ein wenig zu schlafen. Und vergessen Sie nicht, den Halunken an der nächsten Station der Polizei zu übergeben. Er hat vielleicht noch mehr auf dem Kerbholz.«
»Ja, Sir. Natürlich, Sir.«
Farnworth und der Schaffner verschwanden mit ihrem Gefangenen, und Hannah führte Abbie zu ihrer Koje zurück. »Wie gesagt, dafür werde ich Ihnen ewig dankbar sein«, sagte Abbie, »diese Kette bedeutet sehr viel für mich, wissen Sie? Jede Perle steht für ein Jahr unserer Ehe.«
Hannah lächelte. »Eine schöne Idee.«
»Mein Mann ist nicht immer so … ein Raubein«, erwiderte sie lächelnd. »Wenn wir allein sind, kann er auch wahnsinnig nett sein, glauben Sie mir.«
Es fiel Hannah schwer, sich Joseph Farnworth als romantischen Liebhaber
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