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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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einem Katalog bestellt hatte. Es ging schneller und war immer noch preiswerter, Waren mit einem Dampfschiff zu verschicken, als den langwierigen Weg mit der Eisenbahn durch das Landesinnere zu wählen.
    Als der Regen heftiger wurde und Hannah gerade in ihre Kabine zurückkehren wollte, wurde sie auf einen jungen Mann aufmerksam, der bei der gestapelten Fracht herumlungerte. Obwohl er wie ein Weißer gekleidet war und eine gefütterte Jacke über seinem Hemd und seiner Baumwollhose trug, erkannte sie ihn als Indianer. Unter seiner zerfledderten Wollmütze hingen seine halblangen schwarzen Haare herab. Er hielt einen Beutel in der Hand.
    Warum er ihr aufgefallen war, wusste sie selbst nicht genau. Es lag wohl an seiner angespannten Haltung und seinem nervösen Blick. Hannah wurde schnell klar, was er vorhatte, denn kaum richtete sich die Aufmerksamkeit aller auf einen Mann, der vor Schmerz aufschrie, als er sich die Hand an einem Nagel aufriss, huschte der junge Indianer in den Frachtraum des Schiffes. Er bewegte sich so leise und schnell, dass ihn niemand bemerkte, und war längst verschwunden, als die Männer ihre Arbeit fortsetzten.
    Ein blinder Passagier!
    Natürlich hätte Hannah etwas unternehmen müssen, und einen Augenblick dachte sie auch daran, die Treppe zur Brücke hinaufzusteigen und die Sache dem Kapitän zu melden, aber sie war nie eine Petze gewesen und entschied sich auch jetzt dagegen, den jungen Indianer anzuschwärzen. Nach seiner schäbigen Kleidung zu schließen, war er ein armer Junge, und die Alaska Steamship Company würde bestimmt nicht bankrottgehen, wenn er ohne Ticket fuhr.
    Zufrieden lächelnd, weil sie dem armen Teufel zu einer kostenlosen Passage verhalf, kehrte sie in ihre Kabine zurück. Es tat gut, aus dem nassen Mantel herauszukommen und sich etwas aufzuwärmen. Was hätte sie jetzt für ein heißes Bad gegeben! Sie trocknete ihr Gesicht und ihre Haare und hüllte sich in eine Decke, blieb eine Weile am Fenster stehen und blickte in den Regen hinaus.
    Noch bevor die Yukon ablegte, klopfte der Erste Maat an ihrer Kabinentür und übergab ihr eine Einladung des Kapitäns. »Captain Bliss würde sich freuen, Sie zum Abendessen am Captain’s Table begrüßen zu dürfen«, nahm er die Zeilen des Schreibens vorweg. »Heute Abend um acht Uhr.«
    Das gemeinsame Essen mit dem Kapitän gehörte zu den Traditionen, die auch auf der abgelegenen Route nach Alaska gepflegt wurden. Hannah hatte davon gehört und fühlte sich sehr geehrt. »Richten Sie dem Kapitän bitte aus, dass ich seine Einladung gerne annehme«, erwiderte sie. Nachdem der Mann gegangen war, blieb sie nervös stehen. Zum Haarewaschen war keine Zeit mehr. Sie rubbelte sie mit einem Handtuch trocken und band sie zu einem festen Knoten, der sie älter aussehen ließ, ihrem Gesicht aber auch mehr Raum gab und die Aufmerksamkeit auf ihre ausdrucksstarken Augen lenkte. Sie strich etwas Rouge auf ihre Wangen. Mehr Make-up hatte sie nie benutzt, die dunklen Schatten, die sich manche New Yorkerinnen inzwischen um die Augen malten, waren ihr ein Gräuel und hatten ihr nicht einmal bei Gloria Swanson in deren letztem Film gefallen. Sie schlüpfte in ihr grünes Sonntagskleid und die halbhohen Schuhe und verbrachte weitere zehn Minuten vor dem Spiegel, bevor sie mit ihrem Aussehen zufrieden war.
    Pünktlich um zwanzig Uhr erschien sie im Speisesaal. Der Erste Maat brachte sie zum Captain’s Table, den sie mit einem Ehepaar aus Seattle, das Verwandte in Juneau besuchte, und einer Krankenschwester teilte, einer resoluten Frau in den Dreißigern, die auch beim Essen ihr hellblaues Kleid, die weiße Schürze und die weiße Haube trug. Captain Bliss trug seine Uniform und entsprach mit seinem dichten weißen Haar und seinem ebenso weißen Vollbart, dem Bild, das man sich vom Kapitän eines Schiffes machte.
    »Sie sehen reizend aus, Miss Stocker«, begrüßte er sie. »Und ich freue mich, dass Sie heute Abend an meinem Tisch Platz nehmen.« Er stellte die Gäste einander vor, das Ehepaar aus Seattle und »Schwester Becky«, wie er sie nannte, die »mutige Krankenschwester aus Seattle«, die bereits seit zwei Jahren im Krankenhaus von Fairbanks arbeitete und nach einem kurzen Heimaturlaub wieder in den hohen Norden zurückkehrte. »Sie ist eine Institution in Fairbanks.«
    Während des Essens – es gab Steaks mit Bratkartoffeln – erzählte der Kapitän von seinen Abenteuern auf hoher See, wie er schon als junger Mann auf einem Segelschiff um

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