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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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besteht nicht nur aus Männern.«
    »Meine Rede.«
    »Und aus solchen schon gar nicht.«
    Doch als sie am frühen Nachmittag die Mount McKinley Park Station erreichten und das Dröhnen eines Flugzeugmotors über ihnen ertönte, stieg Hannah so rasch aus dem Zug, dass sie beinahe stolperte, und anstatt den über sechstausend Meter hohen Mount McKinley zu bestaunen, blickte sie hoffnungsvoll zum Himmel empor. Im hellen Sonnenlicht raste eine rote Curtiss JN-4 über sie hinweg, eine Jenny, und im Cockpit saß ein Mann, dessen weißer Schal heftig im Wind flatterte, als er unweit der Schienen auf einer Wiese landete, nur wenige Schritte vom Eingang des Nationalparks entfernt.
    Schon im Zug hatte der Schaffner einen längeren Aufenthalt am Mount McKinley angekündigt, »gute zwei Stunden«, um den Passagieren die Gelegenheit zu geben, sich den gewaltigen Berg aus der Nähe anzusehen. Seit einigen Monaten gab es einen Veranstalter in dem Nationalpark, der seine Kunden in Automobilen über eine Schotterstraße in die Wildnis fuhr und ihnen das Gefühl gab, der Zivilisation entronnen zu sein.
    Die Fahrer standen schon bereit, doch Hannah rannte an ihnen vorbei zu dem Piloten, der seine Maschine gedreht hatte und aus dem Cockpit kletterte. Er hatte dieselbe Statur wie Frank, aber als er die Lederhaube und die Schutzbrille abnahm, kamen lockiges rotblondes Haar und ein Gesicht mit unzähligen Sommersprossen zum Vorschein, und er rief mit einer wesentlich höheren Stimme als Frank und mit britischem Akzent: »Nicht so stürmisch, Miss! Ich laufe Ihnen nicht weg.« Er warf lachend die Lederkappe und die Brille ins Cockpit. »Hey, ich kam ja immer gut bei Frauen an, aber so hat sich noch keine auf mich gestürzt! Muss an meiner neuen Frisiercreme liegen.«
    Sie blieb abrupt stehen und kam sich auf einmal sehr albern vor. Mit geröteten Wangen sagte sie: »Oh … Tut mir leid, Sir. Ich hab Sie verwechselt.«
    Mit einem überheblichen Grinsen sagte er: »Das kann nicht sein, Miss. Ich sehe hier weit und breit keinen anderen Mann, der es mit mir aufnehmen könnte.« Er verbeugte sich mit einem tiefen Diener. »Clyde Bannister, zu Ihren Diensten.
    »Hannah Stocker.« Ihr war nicht nach Scherzen zumute. »Sorry … Aber ich kenne einen Piloten, der fliegt auch eine rote Jenny und … Es tut mir leid, Sir.«
    »Lassen Sie doch das blöde ›Sir‹. Nennen Sie mich Clyde.«
    Sie fand ihn weder attraktiv noch besonders sympathisch, dazu war er viel zu eingebildet, und seinen britischen Akzent mochte sie auch nicht. Sie blickte zum Zug zurück. »Nun ja … Ich gehe dann mal wieder. Ich muss weiter.«
    »Eine Jenny?« Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Sie kennen sich aus, was? Ich kenne bloß noch einen mit einer roten Jenny. Frank Calloway.«
    Hannah, die sich schon abgewendet hatte, blieb stehen. »Sie kennen ihn?«
    »Nur flüchtig. Ich hab ihn mal auf einem Jahrmarkt getroffen, vor einigen Monaten in Montana. Hab keine drei Worte mit ihm gesprochen, da war mir dieses blonde Farmermädchen doch lieber, aber mir gefiel seine rote Jenny.«
    »Und den weißen Schal haben Sie auch von ihm.«
    »Der passt gut zu dem roten Lack.« Er war so von sich überzeugt, dass er nicht die geringste Unsicherheit zeigte. »Hey …, wollen wir eine schnelle Runde drehen? Zum Mount McKinley und zurück?«
    »Nein, danke.«
    »Ich lade Sie ein!«
    »Ich hab keine Lust.«
    »Ach was«, ließ er ihre Ausrede nicht gelten, »so ein Angebot bekommen Sie doch nie mehr wieder! Wissen Sie, was die anderen Piloten berechnen würden? Ein halbes Vermögen!« Er berührte sie an der Schulter und schob sie sanft auf seine Maschine zu. »So ein Wetter gibt’s hier nur alle paar Jahre.«
    Gegen ihren Willen kletterte sie in das vordere Cockpit. Weil das Wetter tatsächlich wunderschön war und er ihr in der Luft nichts anhaben konnte, redete sie sich ein, aber es waren wohl eher der rote Anstrich seiner Maschine und die Erinnerung an Frank, die sie einsteigen ließen. Er reichte ihr eine Lederkappe und eine Schutzbrille, lächelte ihr aufmunternd zu und ließ den Propeller an. »Augen auf und staunen!«, rief er, als er selbst im Cockpit saß.
    Seine Maschine war älter als Franks Jenny, das spürte sie schon beim Anrollen. Sie knarrte in allen Fugen, als sie über die Wiese holperte und vor einer Baumgruppe abhob, und gewann nur langsam an Höhe. Doch Bannister war ein guter Pilot und hatte bei diesem Wetter auch keine Schwierigkeiten, die robuste Maschine

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