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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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längst sechs Fuß unter der Erde.«
    Gegen Mittag stiegen sie am Ufer eines schmalen Baches aus den Sätteln, ließen die Maultiere grasen und teilten sich die Sandwiches, die Hannah aus dem Hotel mitgenommen hatte. Nur mühsam unterdrückte sie ein Stöhnen. Der Ritt war anstrengender gewesen, als sie gedacht hatte, und sie hatten noch nicht einmal ein Drittel des Weges geschafft. Ihr Hintern schmerzte von dem harten Sattel, und die Innenseiten ihrer Schenkel waren jetzt schon wund.
    »Müde?«, fragte Buddy und trank einen Schluck.
    »Wie kommen Sie denn darauf? Wenn es sein muss, reite ich bis zum Eismeer mit Ihnen.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Vorausgesetzt, Sie nennen mich nicht ›Missy« und grinsen nicht so schadenfroh.« Als sich sein Grinsen ausgerechnet in diesem Moment verstärkte, funkelte sie ihn wütend an. »Ja, verdammt, mir tut der Hintern weh, und ich kann kaum noch gerade stehen!«
    Sein Grinsen blieb. »Das ist ganz normal, Missy.«
    Der Ritt am frühen Nachmittag durch den Wald war anstrengend und stellte sie auf eine noch härtere Probe als die Etappe am Morgen. Der Trail war jetzt steiler und steiniger, und Hannah hatte das Gefühl, dass der Postreiter auch ein etwas schärferes Tempo vorlegte. Anscheinend hatte er sie auf dem ersten Teilstück geschont, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich an die ungewohnte Art der Fortbewegung zu gewöhnen. Schon nach einer Stunde wäre sie am liebsten abgestiegen, aber der Postreiter behielt das Tempo bei, blickte sich gelegentlich nach ihr um und fragte nur: »Kommen Sie noch mit, Missy, oder machen Sie schlapp?«
    »Ich bin einiges gewohnt«, antwortete sie beim ersten Mal, und beim zweiten Mal: »Glauben Sie ja nicht, dass ich zu weinen anfange, Mr Cowboy!«
    Als sie den Wald hinter sich ließen und die Ausläufer von Bergen erreichten, scheuten die Maultiere plötzlich nervös. Die Packtiere drängten nach links und zerrten an den Zügeln, hielten nur widerwillig inne, als Buddy sie mit eiserner Hand zurückdrängte. Hannahs Maultier stieg hoch und warf sie ab. Sie stemmte sich vom Boden hoch, lief ein paar Schritte und bekam gerade noch die Zügel zu fassen. Mit beiden Händen hielt sie das Tier zurück.
    »Was ist los? Was haben die Tiere?«, rief sie aufgebracht.
    »Bleiben Sie, wo Sie sind!«
    Ihr lief es kalt den Rücken herunter, als sie das Gewehr in den Händen des Postreiters sah. Ohne ihr Maultier anzusehen, strich sie ihm beruhigend mit einer Hand über den Hals, spürte sein ängstliches Zittern und sah, dass auch die anderen Maultiere kurz davor waren, in Panik zu geraten. »Ruhig! Ganz ruhig!«, redete sie besänftigend auf die Tiere ein, obwohl sie selbst große Angst verspürte und längst erkannt hatte, dass sie sich in Lebensgefahr befanden.
    Als sie den Kopf hob und über den Rücken ihres Maultiers hinwegblickte, erkannte auch sie die Gefahr. Auf einem der grasbewachsenen Hügel, die sich vor ihnen erhoben, war eine Grizzlymutter mit ihren zwei Jungen aufgetaucht. Auch ohne sich in der Wildnis auszukennen wusste sie, wie gefährlich eine Bärenmutter werden konnte, wenn sie ihre Jungen bedroht sah.
    Sie hatten sich den Tieren gegen den Wind genähert und zufällig ihren Weg gekreuzt. Die Bärin war wahrscheinlich ebenso überrascht wie sie. Zwischen ihnen lagen höchstens fünfzig Schritte, als sie ihre Witterung aufnahm und ihr Maul zu einem durchdringenden Drohlaut aufriss. Auch aus dieser Entfernung erkannte Hannah die scharfen, gelb schimmernden Reißzähne.
    »Keine Bewegung!«, warnte Buddy. »Vielleicht merkt sie, dass wir ihr nichts Böses wollen, und zieht weiter. Verhalten Sie sich ganz still. Sie darf auf keinen Fall denken, dass wir ihr was anhaben wollen, sonst greift sie an.«
    Hannah war ohnehin zu keiner Bewegung fähig. Wie versteinert stand sie hinter ihrem Maultier, die Hände wieder in seine Mähne verkrallt, und blickte wie hypnotisiert auf die Bärin. Buddy hatte sein Gewehr im Anschlag und den Finger am Abzug, schoss aber nicht. Er wirkte vollkommen ruhig, als wären die gefährliche Bärenmutter und ihr Nachwuchs gar nicht vorhanden.
    Seine Geduld wurde belohnt. Die Bärin stieß ihre Jungen mit der Schnauze an, öffnete noch einmal drohend ihr Maul und verschwand über die Hügel. Sie drehte sich kein einziges Mal um, als wüsste sie, dass Buddy nicht schießen würde.
    Der Postreiter hatte sein Gewehr bereits in den Sattelschuh geschoben, und selbst die Maultiere waren schon wieder ruhig, als Hannah

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