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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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in dem weiten Land, nach dem du dich so gesehnt hast. Du musst noch viel lernen, wenn du es hier zu etwas bringen willst, also reiß dich gefälligst zusammen und gib dich nicht irgendwelchen Träumen hin!
    Am nächsten Morgen war es ausgerechnet der Postreiter, der Hannah noch einmal an den Flieger im roten Doppeldecker erinnerte. »Sieht ganz so aus, als würde ich meinen Job bald verlieren«, sagte er, als sie am Ufer des Gold River entlangritten. »In Kürze wird wohl ein Buschflieger meine Tour übernehmen.«
    »Ein Buschflieger?«, wunderte sie sich.
    »So nennt man die Piloten in den kleinen Maschinen, die jetzt überall in den Staaten rumfliegen. Sogar hier oben hab ich die schon gesehen.« Der Gedanke stimmte ihn nicht gerade fröhlich. »Einer soll sich schon bei der U.S. Post vorgestellt haben, ein junger Schnösel mit einem roten Doppeldecker.«
    Sie hielt unwillkürlich den Atem an. »Frank Calloway?«
    »Nein, der hieß anders …«
    »Clyde Bannister?«
    »Clyde Bannister … Genau. Kennen Sie den Burschen etwa?«
    Hannah verzog angewidert das Gesicht. Die Erinnerung daran, wie er sie an den Oberarmen gepackt und ihr seine Lippen auf den Mund gedrückt hatte, die Erinnerung an seine Hand unter ihrem Rock, trieb ihr den Ekel hoch. »Ja, den kenne ich«, erwiderte sie verächtlich. »Ein widerlicher Bursche, dem ich nicht mal einen Brief anvertrauen würde.«
    »Sie haben wohl Ihre Erfahrungen mit ihm gemacht?« Sie gab keine Antwort, und er fragte nicht weiter, als er ihre bittere Miene bemerkte. »Sie werden ihm den Job trotzdem geben. Der erledigt eine Tour, für die ich zwei Wochen brauche, in zwei Tagen, und wenn er Schwimmer oder Skier unter seine Kiste schraubt, kann er sogar im tiefsten Busch landen. Dann können sie die Post jeden Monat ausliefern. In so einer Maschine ist genug Platz für Päckchen und Briefe.« Er blickte sich nach den Packtieren um. »Und die Maultiere brauchen sie auch nicht mehr zu füttern.«
    »Sie finden was anderes … Als Fallensteller oder Führer.«
    »Oder als Hausmeister in einem Drugstore, dann komme ich überhaupt nicht mehr raus.« Er ritt eine Weile schweigend dahin, erging sich in Selbstmitleid, ließ seine Wut an den Maultieren aus, die er mit üblen Schimpfwörtern bedachte, bis ihm einfiel, dass er mit einer Frau unterwegs war, und sein Tonfall wieder ruhiger wurde. »Schon gut, schon gut«, rief er. Seine Art, sich zu entschuldigen. »Und wer ist dieser … Frank Calloway?«
    Hannah hatte es gerade mühsam geschafft, ihn einigermaßen aus ihren Gedanken zu verscheuchen, und hätte am liebsten ebenfalls geflucht. Sie überlegte, wie viel sie von ihrem Geheimnis preisgeben sollte. »Frank Calloway … So hieß ein Pilot, den ich bei einem Flying Circus in Nebraska gesehen habe. Der flog auch einen roten Doppeldecker. Ein Kunstflieger. Der schaffte es sogar, die Maschine auf dem Kopf zu fliegen.« Sie schloss für einen Moment die Augen und sah ihn, den weißen Schal um seinen Hals flatternd, einen Looping drehen. »Aber der kommt bestimmt nicht nach Alaska.«
    »Wer weiß«, erwiderte der Postreiter. »Ich hab mir sagen lassen, dass es einige Piloten aus den Staaten nach Alaska zieht.« Wie alle Einheimischen sprach auch er von den »Staaten«, wenn er die Vereinigten Staaten meinte. »Ich sag’s nur ungern, aber hier in Alaska können sie mit ihren Flugzeugen wirklich was anfangen. Hier sind die Entfernungen so groß, dass man mehrere Wochen bräuchte, um mit dem Boot oder Hundeschlitten von einem Ende zum anderen zu fahren, und Straßen für Automobile gibt es nur in Fairbanks und einigen anderen Städten. Alaska ist doch ein Paradies für Flieger.«
    »Und was tun sie im Winter? Ist doch viel zu dunkel und zu kalt.«
    Buddy winkte ab. »Da erfinden die auch noch was. Die erfinden immer was, wenn es nicht weitergeht. Geschlossene Kabinen, eine Zauberbrille, mit der man auch nachts sehen kann, was weiß ich. Als ich ein Junge war, gab es nicht mal Automobile. Irgendwann bauen die Raketen, wie in diesem Buch, das ich mal gelesen habe. Wie hieß das Ding noch? ›Reise um den Mond‹ oder so ähnlich. Am Ende fliegen die tatsächlich noch zum Mond, Sie werden sehen.«
    Hannah lachte. »Das möchte ich erleben.«
    Der Pfad wurde steiniger und wand sich zum Steilufer oberhalb des Gold River hinauf. Vom Fluss fort führte er durch einen dichten Fichtenwald. Die Bäume reichten bis an den Pfad heran, und ihre ausladenden Kronen waren so dicht, dass man kaum den

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