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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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betörenden Duft, und die hoch aufragenden Gipfel der White Mountains wirkten so klar und nahe, als könnte man sie mit den Händen greifen. Wann hatte sie in der Stadt schon einmal einen solchen Himmel gesehen? So weit und blau und klar? Tagsüber war sie in der Nähfabrik und abends in Henry’s Café gewesen, und sonntags hatte es höchstens für einen Ausflug in den Central Park gereicht. Sie ließ das Nähzeug sinken und nahm einen tiefen Atemzug. Wie Balsam wirkte die frische Luft auf ihre Seele. Sie tätschelte den Husky, der es sich neben ihrem Schaukelstuhl bequem gemacht hatte, und lächelte zufrieden. Endlich hatte ihr Leben einen Sinn bekommen. Sie arbeitete nicht mehr für einen Fabrikbesitzer oder den Wirt eines Restaurants, sondern für ihren Onkel und sich selbst. Auch wenn ihre Zukunft mehr als ungewiss war, erfüllte dieser Gedanke sie mit einer tiefen Zufriedenheit. Selbst wenn sie keinen Kredit bekam, würde sie es schaffen … Irgendwie.
    Was Frank wohl gerade machte?
    Sie bekam ihn nicht aus ihren Gedanken, sah nicht den unsteten Barnstormer, der jeden Tag eine andere Frau in sein Cockpit holte, sondern nur den fröhlichen und unbeschwerten Burschen, der sie zu einem Picknick am Mount Rainier entführt hatte. Wie schön wäre es, sich mit diesem Mann eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Sie brauchte nicht einmal die Augen zu schließen, um ihn zu sehen. Wie er morgens auf die Jagd ging, irgendetwas im Haus reparierte, mit dem Boot zum Angeln fuhr oder Holz hackte. Selbst wenn sie jetzt Hosen trug und vor solchen Aufgaben nicht zurückscheute, würde sie einen Angestellten anheuern müssen, um das alles zu schaffen. »Aber das hat noch Zeit«, sagte sie zu Captain, »zuerst müssen wir Chief Alex und seinen Indianern klarmachen, dass wir Ihnen nichts Böses wollen.«
    Am nächsten Morgen, nachdem sie das Haus auf Vordermann gebracht und die Beete gewässert hatte, machte sie sich auf den Weg ins Sommercamp der Indianer. Weil sie von Becky wusste, dass es ungefähr zwei Meilen weiter nördlich am Flussufer lag, beschloss sie, das Boot zu nehmen. Mit einem Ruderboot, das man zur Not auch mit einer langen Stange vorwärtsstaken konnte, würde sie wohl zurechtkommen. Als junges Mädchen, erinnerte sie sich, war sie einmal mit ihrem Vater zum Angeln auf die Donau gerudert. Sie packte ein Glas mit Keksen, die sie im Küchenschrank gefunden hatte, und ein Stück von dem Elchschinken aus dem Vorratsspeicher in einen Leinensack, zog ihre Jacke an, setzte den Hut auf und ging zur Anlegestelle.
    Sie wuchtete das Boot herum, das auf der Seite gelegen hatte, und schob es in den Ufersand. Die lange Stange verstaute sie unter den Sitzbänken, den Beutel mit den Geschenken legte sie in den Bug. Es kostete sie einige Kraft, die Riemen in die rostigen Scharniere zu hängen und das Boot ins Wasser zu schieben, und als sie im letzten Augenblick hineinstieg und stolpernd auf die Sitzbank fiel, hätte sie es beinahe zum Kentern gebracht. Schaukelnd trieb sie in die träge Strömung. Sie griff nach den Riemen, drehte das Boot mit dem Bug nordwärts und begann zu rudern. Schon nach diesen ersten Manövern war sie ins Schwitzen geraten, und es dauerte eine ganze Weile, bis es ihr gelang, die Riemen gleichmäßig zu bewegen und den Kurs zu halten.
    Auf dem Fluss war es ungewöhnlich ruhig. Nur das leise Plätschern, wenn die Riemen ins Wasser tauchten, und das ferne Krächzen eines Raben waren zu hören. Direkt neben dem Boot tauchte eine kleine Schildkröte auf und verschwand wieder. Über den Zweigen der Bäume, die bis weit in den Fluss reichten, schwirrten Insekten. Das Citronella-Öl, mit dem sie vor ihrem Aufbruch ihr Gesicht und ihre Hände eingerieben hatte, schützte sie gegen die Mücken, die sich wegen des ungewöhnlich warmen Sommers auch hier oben langsam breitmachten. Hinter einer sanften Biegung tauchte das Indianerlager auf. Nur wenige Schritte vom Ufer entfernt und von dichtem Mischwald bedrängt erhoben sich zwei Blockhäuser mit moosbedeckten Giebeldächern. Ein junger Mann hackte Holz und stapelte die Scheite neben einem der Häuser. Er hielt in der Arbeit inne und blickte ihr neugierig entgegen, als er ihr Boot entdeckte.
    Am Waldrand jaulten die angepflockten Huskys. Sie zerrten an den Lederriemen, kamen aber nur ein paar Schritte weit. Einer der Hunde fletschte wütend die Zähne, als ein Junge einen Stein nach ihnen warf, und zog sich beleidigt an seinen Platz zurück.
    Weiter nördlich standen

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