Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
Vom Netzwerk:
diese Berge hinwegflogen und die verschneite Pracht in ihrem ganzen Ausmaß zu sehen bekamen? Hatte jemals ein Bergsteiger diese Gipfel erklommen und die andächtige Stille genossen?
    »Wie wär’s mit einer Portion Schnee zum Lunch?«, rief Frank.
    Hannah verstand nicht, was er meinte, doch viel zu schnell flogen sie der weißen Kuppe entgegen. »Nach rechts!«, rief sie in Panik. »Weiter rechts! Lass den Unsinn, Frank! Das ist viel zu gefährlich!«
    »Keine Bange!«, rief er über den Motorenlärm hinweg. »Schnapp dir eine Handvoll Schnee! Mach schon!«
    »Das ist doch Wahnsinn! Flieg an dem Berg vorbei!«
    »Ich hab alles im Griff!«
    Er legte die Jenny in eine so steile Linkskurve, dass sie ganz nah um den Gipfel herumflogen und Hannah nur noch die Hand auszustrecken brauchte, um nach dem Schnee zu greifen.
    Stattdessen hielt sie sich krampfhaft fest und schloss die Augen, spürte einen leichten Schlag, als die Maschine mit einer Tragfläche den Berg streifte und gleich darauf ins Taumeln geriet. »Verdammt!«, hörte sie Frank fluchen.
    Sie riss die Augen auf und schrie vor Entsetzen. Wie von einer Riesenfaust getroffen wurde die Maschine nach rechts geschleudert, torkelte scheinbar hilflos durch die Luft, kippte zu stark nach links, als Frank sie herumreißen wollte, und bockte mit aufheulendem Motor. Hannah kam sich vor wie in einer Achterbahn, nur dass sie keine Schienen hatten und die Jenny scheinbar hilflos und viel zu schnell nach unten trudelte. »Frank! Tu doch was, Frank!«, rief sie.
    Frank blieb ruhig, verlor auch dann nicht die Nerven, als sie auf einen der felsigen Hänge zurasten, und fing die Maschine rechtzeitig ab. Er stabilisierte sie fluchend und brachte sie auf Kurs. Doch irgendetwas stimmte nicht. In den Motorenlärm mischte sich ein nervtötendes Klappern, das auch Hannah besorgt nach links blicken ließ. Eine der Streben, die zwischen den beiden Tragflächen auf der linken Seite des Doppeldeckers angebracht war, hatte sich gelockert und klapperte. »Eine der Streben … Sie ist locker!«, rief sie nach hinten.
    »Keine Angst, Hannah! Ich bringe die Kiste sicher runter!«
    Sie schimpfte und fluchte nicht und machte ihm keine Vorwürfe, dazu hatte sie immer noch zu viel Angst. Die Maschine lag nicht so sicher in der Luft wie sonst, wackelte heftig und reagierte viel empfindlicher auf jede Windböe, und das Klappern zerrte an den Nerven. Hannah blickte jetzt stur geradeaus, wagte gar nicht mehr nach links zu blicken, aus Angst, die Strebe könnte sich lösen. Nicht auszudenken, was dann passieren würde. In Gedanken stellte sie sich vor, wie es die Tragflächen wegriss und sie gegen die Felsen prallten.
    »Wir schaffen das, Hannah!«, rief Frank. Er klang selbstsicher.
    Sie reagierte nicht und blickte stur nach vorn, beide Hände an der Cockpitumrandung. Jetzt bloß nichts sagen, ihn nicht ablenken, er soll sich ganz darauf konzentrieren, die Maschine sicher nach unten zu bringen. Er hat recht, er ist ein guter Pilot, wir werden es schon schaffen. Diese Barnstormers sind ganz andere Sachen gewöhnt. Die lassen ihre Maschinen auf dem Kopf fliegen oder wechseln während des Fluges das Cockpit. Eine lockere Strebe bringt die nicht aus der Ruhe. Kleine Fische. Die würden auch ohne Tragflächen landen.
    In sicherer Entfernung über einem hellen Kalksteinhang brausten sie Richtung Westen. Ein Wiesenhang, von blutrotem Fireweed durchzogen, rauschte unter ihnen hinweg. Die Ausläufer der White Mountains im Nordwesten, aber nirgends ein Fluss oder See zum Landen. Sie kniff die Augen unter ihrer Schutzbrille zusammen. Im fernen Dunst glitzerte Wasser. Das musste der Yukon River sein, der längste und bekannteste Fluss des hohen Nordens.
    Sie hatte viel über ihn gelesen, rankten sich doch um ihn beinahe so viele Legenden wie um den Mississippi. Ein breiter und scheinbar träger Strom, der inmitten endloser Wälder und ausgedehnter Sumpfgebiete den Rhythmus des Nordens bestimmte.
    Frank hielt direkt auf den Fluss zu. »Halt dich gut fest!«, warnte er Hannah, bevor er den Steuerknüppel langsam nach vorne schob und die Maschine tiefer gehen ließ. Der Wind wurde stärker und böiger und rüttelte am Rumpf und den Tragflächen, das Klappern der lockeren Strebe wurde immer lauter.
    Hannah blickte stur geradeaus. Sie klammerte sich so fest ans Cockpit, dass die Knöchel ihrer Hände weiß hervortraten. Den Schmerz spürte sie nicht. Sie sah nur den Fluss, das rettende Wasser, auf dem sie landen

Weitere Kostenlose Bücher