Im Land des weiten Himmels
konnten. Bloß noch eine Meile, vielleicht sogar weniger, dann hätten sie es geschafft.
Je tiefer sie gingen, desto stärker schien der Wind zu werden. Er kam jetzt schräg von der Seite, drückte mit aller Macht gegen die kleine Maschine und versuchte sie vom Kurs abzubringen. Frank kämpfte mit allen Mitteln dagegen an, ließ die Jenny noch schneller sinken, bis sie dicht über dem Boden waren, weil er hoffte, dass der Wind dort schwächer war. Doch es änderte sich kaum etwas. Im Gegenteil, sie liefen jetzt Gefahr, von einer plötzlichen Windböe nach unten gedrückt zu werden und abzustürzen. Der Fluss, schoss es Hannah durch den Kopf, warum kommt der so langsam näher?
Für das eindrucksvolle Panorama, das sich vor ihnen ausbreitete, hatte sie keine Augen.
Endlich tauchte der Yukon unter ihnen auf. Frank lenkte die Maschine im Tiefflug darüber hinweg und folgte, den Steuerknüppel fest in der Hand, dem Fluss nach Südosten. Die Jenny ächzte und zitterte. Der Wind ließ sie gefährlich schwanken und versuchte sie vom Fluss zu drängen. Frank schien das nichts auszumachen. »Jetzt kann uns nichts mehr passieren!«, rief er. Er klang wesentlich entspannter als vor ein paar Minuten. »Hinter der nächsten Biegung liegt Tanana!«
Hannah warf einen nervösen Blick auf die lockere Strebe, die inzwischen so stark wackelte, dass sie jeden Augenblick abbrechen konnte. Auch ein erfahrener Pilot wie Frank würde eine beschädigte Maschine nicht mehr abfangen können. In Gedanken sah Hannah, wie die Jenny nach links kippte, mit der beschädigten Tragfläche das Wasser berührte und sich mehrmals überschlug. Ihre Schreie vermischten sich mit dem Aufheulen des Motors und dem Lärm, den die zerbrechende Maschine verursachte. Der Propeller flog quer über den Fluss.
Sie schrie tatsächlich, aber nur, weil die Schwimmer in diesem Moment den Fluss berührten. Zu beiden Seiten schoss Gischt nach oben und hüllte sie in feuchten Nebel. Holpernd pflügte die Maschine durch das dunkle Wasser, drohte nach rechts zu kippen, fing sich aber gerade noch, wurde langsamer und kam endlich zur Ruhe.
Hannah atmete erleichtert auf. Sie zog die Lederkappe und die Schutzbrille vom Kopf, legte beides auf den Sitz und saß einfach nur da, bis sich ihre Anspannung gelegt hatte. Mit dem Ärmel wischte sie sich das Wasser vom Gesicht. Sie waren endlich unten! Die Strebe hatte gehalten, und die Jenny war nicht auseinandergebrochen. »Na, was hab ich gesagt?«, hörte sie Frank rufen. »Wenn ich am Steuerknüppel sitze, brauchst du keine Angst zu haben!«
Sie drehte sich erstaunt um, sah ihn fröhlich lächelnd im Cockpit sitzen, die Schutzbrille auf der Stirn, und verlor die Nerven. »Was sagst du da? Ich brauche keine Angst zu haben, wenn ich mit dir fliege?«, schrie sie. »Das ist ja wohl die kühnste Untertreibung, die ich jemals gehört habe! Du bringst uns beide wegen dieser bescheuerten Idee in Lebensgefahr, wir schaffen es kaum aus den Bergen raus, ich stehe Todesängste aus, und du hast die Stirn, mir zu sagen, dass ich keine Angst zu haben bräuchte? Das ist ja wohl das Letzte! Wie konntest du so etwas tun, Frank?«
»Beruhige dich, Hannah! Es ist doch nichts passiert.«
»Es ist nichts passiert?« Sie konnte sich nicht beruhigen. »Wir wären beinahe abgestürzt, Frank, und haben es nur unseren Schutzengeln zu verdanken, dass wir heil runtergekommen sind. Oder willst du das Gegenteil behaupten?«
»Es war nicht so schlimm, wie es aussah, Hannah!«
»Natürlich war es so schlimm! Es war sogar noch viel schlimmer! Und jetzt bring mich endlich an Land! Ich habe die Nase voll von dir! Endgültig!«
»Hannah!«
»Du sollst mich an Land bringen, verdammt!«
Diesmal sagte er nichts mehr.
24
Kaum hatte Frank das Flugzeug an einem der Balken vertäut, kletterte Hannah aus dem Cockpit und stapfte wütend davon.
»Hannah! Warte auf mich!«
»Den Teufel werde ich tun!«, erwiderte sie, ohne sich umzudrehen.
»Ich repariere die Maschine, und dann können wir weiter. Das dauert keine zwei Stunden. Sei doch vernünftig! Ich hab das doch nicht mit Absicht getan.«
Aber sie war noch so geschockt und so verärgert, dass sie unbeirrt weiterlief, die staubige Hauptstraße überquerte und unter den neugierigen Blicken einiger Passanten die Läden auf der anderen Seite ansteuerte. Sie blickte in ein Schaufenster und atmete ein paarmal tief durch, immer noch wütend auf Frank, der sie mit seinem Manöver zu Tode erschreckt
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